Montag, 12. August 2013

Christos Tsiolkas: Nur eine Ohrfeige



Nach reiflicher Überlegung komme ich nun doch zu dem Schluß, daß dieses Buch so was wie ein Furz ist. Mit dem Furzen habe ich nicht angefangen. Das war der Autor, der gleich auf der ersten Seite Hector, so was wie die Hauptfigur,  damit vorstellt und ihn erst mal kräftig furzen läßt.  Die Stellen, wo später gepinkelt  und Großes gemacht wird, habe ich mir nicht gemerkt.  Übrigens – alle, die in die Badewanne gehen, in diesem Roman, tun das in sehr sehr heißem Wasser. Damit will ich jetzt nicht unbedingt sagen, daß dem Autor nichts Besseres eingefallen sei. Und Hector war nicht der Einzige, der in diesem Roman gefurzt hat.

Hector ist 43 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und er furzt gerne, was seine Frau, Aisha, überhaupt nicht mag und wenn Hector beim furzen an seine Frau denkt, oder bei den Liegestützen und 150 Situps, die er ebenso täglich macht, fallen ihm Damenumkleidekabinen die nach Mösen riechen ein. Ja, nicht nur eine Möse, mindestens zwei oder mehr. So liebt es Hector. Ob er die junge Sprechstundehilfe, Connie, vergewaltigt hat, na ja, daß verrate ich jetzt mal nicht. Also Hector ist ein typischer Australier, glaubt man diesem Roman. Die restlichen Figuren auch, obwohl sie wohl aus dem gesamten Commenwelth und auch aus Griechenland irgendwann mal eingewandert sind.

Männer furzen im Durchschnitt 13 Mal am Tag und Frauen sieben mal. Fragt mich jetzt bitte nicht, wer diese Zahl ermittelt hat. Ich hatte schon genug Probleme, nämlich 508 Seiten lang, mich die ganze Zeit zu fragen und möglich zu klären, was denn dieses ganze Geschreibsel eigentlich soll. Schon möglich das ich zu blöd zum Lesen geworden bin. Oder vielleicht zu alt. 

Der Roman erschien im letzten Jahr bei Klett-Cotta und ist wohl das, was man neue deutsche Welle in der Literatur nennen könnte: Frisch, frech, locker, flockig vom Hocker, salopp im Stil, provozierend... was weiß ich. Jedenfalls konnte ich den furzenden Hector nicht mehr aus meiner Nase raus kriegen.  Obwohl, er dann doch nicht die Hauptfigur war. Ich weiß gar nicht, ob man das Buch hier wirklich als Roman bezeichnen kann.

Es gibt  acht Kapitel: Hector; Anouk, Harry, Connie, Rosie, Manolis, Aisha, Richie! Und man erfährt alles, wirklich alles über sie und ihre Leute.

Anouk ist eine der besten Freundinnen von Aisha, die ja mit Hector verheiratet und Tierärztin ist, Connie ist Aishas Sprechstundenhilfe und hatte einen bisexuellen Vater, der in London, dem schwulen Loch, an Aids gestorbenen war und zog dann zu ihrer Tante (oder war es vielleicht doch ihre Mutter? Die hat kein eigenes Kapitel bekommen).  Anouk, Drehbuchautorin, natürlich mit jugendlichem Liebhaber aus der Serie, und Rosie, beide mit eigenem Kapitel, sind beste Freundinnen von Aisha.

Manolis ist der Vater von Hector, Grieche, wen wundert es, bei den Namen. Richie ist ein junges schwules Bürschchen und in Hector verliebt und seine beste Freundin ist Connie. Soweit so klar?! Nein, ich sage euch jetzt nicht, wer wen fickt, oder gefickt hat, oder ficken wollte. Ich sage jetzt auch nicht, wer welche Drogen nimmt, oder wieviel Alkohol trinkt. Auch nicht, wer einsam ist, pleite, oder sonst wie frustriert.  Alles drin in den 510 Seiten. Okay, 509 Seiten. Auf der letzten Seite ist eine Danksagung. Wie rührend, daß da jemand den Autor „zahlungsfähig“ (Seite 510) gehalten hat. Jetzt habe ich glatt den geläuterten australischen Ureinwohner vergessen.

Ich sagte, der Roman habe eigentlich keine Hauptfigur. Es gibt aber ein Ereignis wie der Titel ja ahnen läßt: Die Ohrfeige! Die verpaßt Harry dem vierjährigen Sohn von Rosie auf einer Gartenparty. Rosie gibt ihrem Sohn immer noch die Brust; öffentlich.  In den einzelnen Kapiteln nun offenbart sich das banale Leben aller genannten und irgendwie beteiligten, es tun sich Abgründe auf. Man könnte also durchaus jedes Kapitel für sich als Sozialstudie lesen und von mir aus auch ein bißchen Psychoanalyse betreiben. Komisch allerdings wirkt es nicht; jedenfalls nicht bei mir.

Das liegt, würde ich mal sagen, an der Erzählerfigur und am Stil dieses Buches. Weitgehend ist der Stil essayistisch, beschreibend, kurze Sätze. Alles irgendwie banal. Gelegentlich stellt sich dann aber doch, endlich, mal der Eindruck ein, daß da etwas erzählt wird und es gibt auch einige Erzählerkommentare: 

„Willkommen im Australien des frühen 21. Jahrhunderts.“ (Seite 120)
„Gott ist ein Flachwichser.“ (Seite 370)

Und manchmal scheint dieser Erzähler sogar ins philosophieren zu geraten, obwohl ich seine Themen ziemlich ausgelutscht finde: Liebe, Treue, Geld, Moral, Erziehung, Alter, Generationskonflikt?!

Auf 509 Seiten kann man eine ganze Menge rein packten, drüber plappern und schreiben und vielleicht fragt sich dann noch manch anderer Leser, was er da eigentlich gelesen hat und wie es kommt, daß ein einstmals so renommierter Verlag, wie Klett-Cotta, diesen Roman offensichtlich nicht für einen Furz hält und dem Autor ist es gelungen, die vertrackte,  banale, australische Realität zu zeigen.

Allerdings habe ich Australien und seine Menschen irgendwie anders in Erinnerung. Klar, haben die auch gefurzt. So wie ich auch.



Christos Tsiolkas: Nur eine Ohrfeige


Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
© 2012 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Schutzumschlag: Rohfos & Gabler, Hamburg
Unter Verwendung des Umschlags von Carrado Bosi, cdf-ittica.it
Foto: getty-images (Taxi/Maria Spann)