Montag, 3. September 2012

Volker Kutscher: Die Akte Vaterland - Gereon Raths vierter Fall

Die Besonderheit an diesem Krimi ist der zeitliche Hintergrund, vor dem Gereon Rath, Kommissar, Mordkommission Berlin, ermittelt: 1932 führen die Ermittlungen von Berlin nach Masuren. Damit gewährt Volker Kutscher einen hochinteressanten Einblick in die gedachte und mögliche gefühlte Stimmungslage in Alltagsituationen der damaligen Zeit.

„In der Hofeinfahrt kam ihnen ein naß gescheitelter blonder Jüngling entgegen, im braunen Hemd, am linken Arm die Hakenkreuzbinde, die SA-Mütze noch unterm Arm. Der Nazi verschoß angriffslustige Blicke, doch Rath ließ sich nicht einschüchtern, er hatte diese braunen Burschen gefressen, seit er miterlebt hatte, wie sie letztes Jahr am Ku’damm randaliert hatten, schlimmer als die Kommunisten. Wenn der Kerl eine Schlägerei haben wollte, konnte er sie haben, dann würde er im Polizeigewahrsam enden. Aber der provozierende Blick reichte dem Jüngling offenbar, er ging an Rath vorüber, ohne ihn anzupöbeln, drehte sich auf der Straße allerdings noch einmal um und setzte mit einem letzten bösen Blick seine Uniformmütze auf.“ (Zitat Seite 49)

Das dieser Hintergrund gut recherchiert scheint, kann man diesem 1962 geborenen Autor Volker Kutscher durchaus unterstellen. Ebenso, wie alle seine Figuren schlüssig, lebendig und stimmig sind. Und genauso solide, spannend und entsprechend dramatisch und überraschend liest sich die Handlung. Das schließt gewisse „Kuriositäten“ mit ein, die wir heute als solche empfinden, was aber nicht nur amüsiert, sondern auch ein wenig nachdenklich macht. Und damit ist nicht nur das Telephonieren gemeint.

Der Klappentext gibt die Rahmenhandlung recht gut wieder: „Im Juli 1932 steht die Berliner Polizei vor einem Rätsel: Ein Mann liegt tot im Lastenaufzug von „Haus Vaterland“, dem legendären Vergnügungsviertel am Potsdamer Platz und alles deutet darauf hin, daß er dort ertrunken ist. Und er ist nicht der Einzige, der auf diese Weise ums Leben gekommen ist. Volker Kutscher schickt seinen Kommissar Gereon Rath auf eine außergewöhnliche Ermittlungsreise, die bis nach Ostpreußen führt. Und Rath an die Grenzen seiner Belastbarkeit.“

Es sollte aber auch klar sein, daß es sich hierbei nicht um einen reißerischen Hardcore Krimi handelt. Hier wird mehr Wert auf den Hintergrund, die Figuren und die Handlung gelegt, was bestens gelungen ist. „Die Akte Vaterland“ ist Gereon Raths vierter Fall, wobei man die ersten drei Bücher nicht unbedingt gelesen haben muß, um hier einzusteigen. Der Hintergrund, der Untergang der Weimarer Republik, macht diese Krimireihe aber auch für Leser interessant, die normalerweise keine Krimis lesen.

Einen Hacken hat die Sache aber schon: Guten Unterhaltung ja, aber mit 560 Seiten viel zu lang, es sei denn, man wünscht sich Geschichten, die niemals aufhören mögen.




Volker Kutscher: Die Akte Vaterland – Gereon Raths vierter Fall

© 2012, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Umschlaggestaltung: Rolf Linn, Köln
Umschlagmotiv: © ullstein bild