Ob nun wirklich
alle türkischen Männern sexuell verklemmt sind und eben ein Problem mit ihrer
Sexualität haben, wie es in Zülfü Livanelis Roman Glückseligkeit an einer
Stelle heißt, weiß ich nicht so genau. Es würde mich aber auch nicht wundern.
Ich persönlich kenne nur ganz wenige Männer, die kein Problem damit haben. Allerdings leben die nicht in einer
Gesellschaft die erwartet, daß ihre möglichen Opfer sich einen Strick nehmen
und aufhängen.
Bei Livaneli ist
Meryem, was Marie heißt, siebzehn und sie wurde in ihrem anatolischen Dorf
vergewaltigt und in den Keller gesperrt. Und nun wartet das ganze Dorf und die
Familie genau eben darauf, daß sie Selbstmord begeht, daß sie sich aufhängt.
Damit fängt dieser Roman an. Und der
Roman handelt im Heute.
„Nach Meinung
ihres Onkels waren alle Männer Sünder, aber die Frauen waren am schlimmsten.
Als Frau auf die Welt gekommen zu sein, war Grund genug um bestraft zu werden.
Schon die Urmutter Eva hatte die Menschen ins Verderben gestürzt. Deshalb muß
man dafür sorgen, daß sie immer ein Kind im Bauch haben und die Schläge eines
Stocks auf dem Rücken spüren. Denn die Frauen sind das Unglück des
Menschengeschlechts. Weil Meryem solche Reden während ihrer ganzen Jugend
gehört hatte, fand sie es widerwärtig, eine Frau zu sein, und fragte: ‚Lieber
Gott, warum hast du mich nur als Frau erschaffen?’“ (Seite 16)
Nach ein paar
Tagen ist klar, daß sich Meryem nicht selber aufhängen wird, in diesem anatolischen
Dorf und so wird ein traumatisierter Kriegsveteran, Veteran ist gut, ein junger
Mann und Cousin aus ihrem Dorf ausgeguckt, mit ihr nach Istanbul zu
fahren. Das Istanbul dafür steht,
irgendwo getötet zu werden, wo einen niemand kennt, ist Meryem nicht klar. Sie
freut sich dann sogar, nach Istanbul zu kommen.
Istanbul! Ja, das
ist dann eine ganz andere Türkei!? Um dies zu zeigen, erzählt Livaneli in
diesem Roman von einem dritten Schicksal; klar ein Mann, ein liberaler
Professor, berühmt, verheiratet, erfolgreich und er schaut sich auch schon mal
mit seiner Ehefrau überall frei erhältliche Pornos an, die seine Frau dann
gerne mit ihm nachmacht. Soweit so gut. Dennoch muß dieser Professor immer
heulen, und dann schmeißt er alles hin!
Meryem, ihr
Cousin, der es nicht brachte, Meryem auf dem Weg nach Istanbul zu töten, und
der ausgestiegene Professor treffen dann irgendwann in der Ägäis zusammen, auf eine Yacht und das in
diesem Roman nachzulesen und zu verfolgen ist eine ausgesprochen interessante
Sache und auch schon mal ziemlich rührend, bis schmalzig.
Das Glückseligkeit
im literarischen Sinne ein paar kleine Schwächen hat, ist in diesem Falle nicht
wichtig. An der Wahrhaftigkeit dieses Textes besteht kein Zweifel, was diesen
Roman zu einem wichtigen Bestandteil der interkulturellen Literatur macht.
Das Ende ist dann
auch noch überraschend und die Glückseeligkeit sieht dann etwas anders aus, als
der deutsche Leser vielleicht erwarten würde, entspricht aber Zülfü Livanelis
Persönlichkeit, den ich nun inzwischen natürlich gegoogelt habe, der nicht nur engagierte
Bücher schreibt, sondern noch singt und gefühlvolle Lieder schreibt und Filme
macht. Offensichtlich kann man also
auch seine sexuellen Probleme in den Griff kriegen, wenn man denn welche hat
und der Rest ergibt sich dann von selbst.
Zülfü Livaneli:
Glückseligkeit
Aus dem Türkischen
von Wolfgang Riemann
© 2008 J.G. Cotta’sche
Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Schutzumschlag:
malsyteufel, Willich
Fotos aus dem Film
„Bliss/Glückseligkeit“