Wie kann man nur einen Roman Liebe nennen?! Tatsächlich,
selbst das Original aus dem Jahre 2004 heißt so. Toni Morrison, Toni
Morrison? Ah ja, Nobelpreis für Literatur 1993. Da weiß man ja nie so
recht, ob es was taugt und warum da der Nobelpreis vergeben wurde. 6,95 € auf dem Wühltisch, Originalverpackt?
Rowohlt Verlag? Okay, das Risiko ist überschaubar und du wolltest ja schon
lange mal, wenigstens von jedem Literaturnobelpreisträger ein Buch gelesen
haben.
„In einem vielfältigen, fast ein Jahrhundert umspannenden
Geflecht aus Szenen erzählt „LIEBE“ von den Frauen, die von Bill Cosey besessen
waren – oder es noch sind:...“ heißt es auf dem Umschlag.
Was für eine unglaublich starke, lebendige und hinreißende
Geschichte, fesselnd und auch erschütternd und dennoch alles versöhnend! Fast
kann ich nicht glauben, daß das eine zweiundsiebzigjährige Frau geschrieben
hat! Aber vielleicht gelang dieses Buch
nur deshalb. Es sind 280 Seiten und
schon der erste Satz macht stutzig und hellhörig. Von dem Moment an wurde mir
Tonis Morrison zu einer Erzählerin, der
ich verfallen bin und staunend
ergriffen lauschte.
„...May, Pfarrerstochter und ein bißchen etepetete, ehe sie
verrückt wird.
Christine, ihre Tochter, verstoßen in die Arme vieler
Männer, doch nach Bills Tod zurückgekehrt in sein Strandhotel.
Heed, mit elf von Cosey zu seiner Frau gemacht und vor allen
Gästen übers Knie gelegt, nun mit Christine unter einem Dach, vereint in Hass
und Bosheit.
Junior, auf ihren Vorteil bedacht im Streit der Cosey-Frauen
um das Erbe und nebenher ein wenig drasstischem Sex nicht abgeneigt.“
(Umschlagtext, 2004)
Morrison erzählt hier aber nicht nur miteinander verwobene
„Liebesgeschichten“. Sie erzählt ihre
Figuren und deren Selbstverständnis und Lebensgefühl auch vor historischem und gesellschaftlichem
Hintergrund, mit klarem, klugen Blick und einem tiefen Verstehen und
Erkennen. Es ist auch mit eine
Geschichte der Schwarzen in Amerika. Und so wie Morrison in diesem Roman
geschrieben hat, sagt der Titel auch etwas darüber aus, wie sie diesen Roman
geschrieben hat: Mit Liebe!
„Es braucht eine gewisse Intelligenz, um so zu lieben –
leise, ohne Requisiten. Aber die Welt ist laut in ihrer Pracht, sie verführt
die Menschen dazu, sich auf einen Wettstreit einzulassen und alles, was sie
empfinden, auf eine Bühne zu stellen, nur um zu zeigen, daß sie auch etwas zu
bieten haben: schöne Schauermärchen mit tödlichen Duellen, mit Ehebruch, mit
brennenden Bettlaken. Natürlich müssen sie scheitern.“ (Morrison, Seite 90)
Toni Morrison: Liebe
Deutsch von Thomas Piltz
© 2004 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Umschlaggestaltung: any.way, Cathrin Günther/Walter Hellmann