Schon mal darüber
nachgedacht, wie es wohl wäre, wenn der Mensch mit dem man gerade zum ersten
mal Sex haben will, sich kurz auf die
Seite dreht und dann so ganz einfach stirbt? Man hat sich vielleicht nur zwei
oder dreimal vorher getroffen, es gab gerade noch ein kleines Abendessen, man
wartete darauf, daß das Kleinkind müde wurde und hat es ins Bett gebracht?
Hemd, Bluse, BH ausgezogen.... und dann legt sich das Gegenüber kurz hin mit
einem Lächeln, um nie wieder aufzustehen? Wie wäre das? In dem Roman ‚Morgen in
der Schlacht denk an mich’ hat Javier Marias darüber geschrieben. Ein vierzig
bis fünfzig jähriger Schriftsteller lernt eine verheiratete Frau mit einem
Kleinkind kennen und als der Ehemann in London weilt, trifft man sich in deren
Wohnung, ist mit der Frau und dem Kind zusammen, sieht fern, das Kind schläft
ein und dann geht man ins Schlafzimmer.
Nun reagiert
dieser Mann und der Held des Romans, dem so etwas widerfahren ist, nicht wie man es vielleicht erwarten oder
annehmen würde: Krankenwagen oder Polizei anrufen oder so etwas. Und das Lesen
dieses Romans wird zu einer langen Reise durch seine Gedanken, den folgenden
Handlungen in den Wochen danach und den sich daraus ergebenden Begegnungen. Die Begegnung dann mit dem König von Spanien
ist eine davon, für den Marias herrliche Namen erfindet, denn ich kann mir
nicht vorstellen, daß die Spanier ihren König Only the Lonely, den Einzigen,
den Einsiedler, Alleinigen, Solus, Only You, Solitär nennen, nicht alles auf
einmal, den dieser Held in einer Privataudienz mit dem Vater der Frau trifft, die ein paar Tage zuvor neben ihm gestorben
war, der aber nicht weiß, das dieser in der Nacht des Todes bei seiner Tochter
war. Die Putzfrau des Königs von Spanien hat dabei einen Auftritt von der Länge,
die man als ältere Frau benötigt, um von einem Ende des Audienzzimmers zum
anderen braucht, wenn man den Putzwagen hinter sich her zieht, in Gedanken ist,
und den König und seine Gäste gar nicht bemerkt. Okay, sie wird schneller, als
sie diese dann bemerkt und der Solitär bedenkt sie mit einem kurzen
freundlichen Nicken. Natürlich kommt es auch zu einer Begegnung mit dem Ehemann
der Verstorbenen; Moment, es waren mehrere Begegnungen und natürlich ist die
letzte dann der Showdown, überraschend, sehr überraschend.
Ausgesprochen
kultiviert hat Marias in diesem Roman den langen Satz! Ich habe noch nie so
lange Sätze gelesen, mal von dem Satz im Ulysses abgesehen, bei dem auf
Satzzeichen und Leerstellen gänzlich verzichtet wurde, was man aber nicht
vergleichen kann. Marias lange Sätze sind aber folgerichtig. Wer denkt schon,
wenn er denkt, mit Komma und Punkt. Ihnen zu folgen ist darum nicht das
geringste Problem. Etwas, das zuweilen
vielleicht, aber auch nur vielleicht, etwas strapaziert, ist das regelmäßig
Wiederkehrende. Aber auch das ist notwendig, denn, wer denkt nicht mehrmals
über die eine oder andere Sache nach.
‚Das Zutagetreten
von Angst bringt den, der angst macht oder dazu imstande ist, auf bestimmte
Gedanken, Vorbeugung gegen das, was noch nicht geschehen ist, ruft das Ergebnis
auf den Plan, Verdacht entscheidet über das, was noch nicht feststand, und
setzt es in Gang, bange Vorahnung und Erwartung zwingen dazu, die Hohlräume
auszufüllen, die sie entstehen lassen und vertiefen, etwas muß geschehen, wenn
wir wollen, daß sich Angst verflüchtigt, und das beste ist es, dafür zu sorgen,
daß sie sich erfüllt.’ (Zitat: Seite 20)
Morgen in der
Schlacht denk an mich ist ein außergewöhnlicher Roman, sicher nicht für
Jedermann, ein klein wenig gewöhnungsbedürftig, dafür aber überraschend,
unterhaltsam, witzig, tiefgründig und sicher dürfte man lange daran denken,
mitten in den Schlachten, die jeder schlägt, so am Morgen.
Javier Marias:
Morgen in der Schlacht denk an mich
Aus dem Spanischen
übersetzt von Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn
© 1994 Javier
Marias
Für die deutsche
Ausgabe
© J.G. Cotta’sche
Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart 1998
Schutzumschlag:
Dietrich Ebert