Donnerstag, 27. Dezember 2012

Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks


Die Party bei den Jacks war genauso, wie ich es erwartet hatte: Tolles Ambiente, außergewöhnlich gutes und vieles Essen, Getränke im Überfluß und es war alles an Leuten da, was Rang und Namen hatte.  Das überraschende Ende allerdings, hätte ich beinahe verpaßt, denn solche Partys und Gesellschaften kenne ich zu genüge und meistens langweilen sie mich. Gelegentlich ödet es sogar an.  Und ich vermute mal, Thomas Wolfe hat es auch gelegentlich angeödet, denn sonst hätte er nicht so geschrieben, wie er geschrieben hat.

Was mich veranlaßte, dieses Buch zu lesen, war zum Einen der  noch immer recht wohlklingende Name des Manesse Verlages und zum Anderen die Lobeshymnen, die der Klappentext über diesen Roman und Autor sang.  Natürlich war es nicht so, daß ich meine Zeit damit vergeudet hätte, aber ganz so, wie Klappentext und die zitierten Literaturkritiker es verkündeten, war es für mich dann doch nicht. Andererseits gebe ich zu, daß ich mich schon überwiegend amüsiert habe.

Thomas Wolfe hat viel geschrieben und unglaublich viel hat er nachgelassen. Wenn ich das richtig erinnere, hat er allerdings nur einen einzigen Roman zu Lebzeiten selbst veröffentlicht, der ihn dann berühmt gemacht hat. Über The Party at Jack’s hat er selbst an seine Agentin geschrieben: „Es ist noch eine große Menge zu überarbeiten, aber ich denke, es läßt sich schon absehen, was daraus werden könnte, wenn es einmal fertig ist.“ Genau das ist es: noch nicht fertig! Und er starb, bevor er diesen Roman fertiggestellt hat.  Im Klappentext und bei den Literaturkritikern hört sich das aber anders an und der Anschein entsteht, das nachgelassene  Manuskript und jetzt erstmalig auf Deutsch veröffentlichte Werk, sei so gut wie fertig. Pustekuchen! Es sind zum Teil schmerzhafte Redundanzen drin, die im Nachwort des Buches als Stilmittel verkauft werden. Es gibt Schnitte, die bei mir als Leser Fragen offen lassen.  Ja, es wäre noch viel Arbeit notwendig gewesen. Ein Fragment zu lesen um in die Denke und Arbeit eines Schriftstellers einzusteigen und diese nachvollziehen zu können hat aber auch einen gewissen Reiz. Allerdings war  Thomas Wolfe keineswegs „der überragende Autor seiner Generation“, wie William Faulkner im Klappentext zitiert wird.  Im Nachwort klingt es dann auch schon etwas anders, wenn dort William Faulkner zitiert wird: „Er mag von uns allen am meisten Talent gehabt haben, er hätte der größte amerikanische Schriftsteller gewesen sein können, wenn er bloß länger gelebt hätte....“

Zunächst geht es in die Schulzeit von Frederik Jack, im kaiserlichen Deutschland, in einem wildromantischen Städtchen, so was  wie Lindau oder Rothenburg o.T. kam mir da in den Sinn. Dann kehrt er dort hin zurück, mit 54 Jahren, die Taschen voller Geld und ist versucht, denen eine Nase zu zeigen, die ihn früher gehänselt, verhöhnt und verprügelt haben. Solche Träume kennt man ja.  Er trifft seine Familie und Verwandten wieder, die in ihm immer noch den kleinen Jungen sehen.  Auf der nächsten Seite steht er dann in seinem pompösen und geräumigem Badezimmer. Ganz klar, der Mann liebt geräumige Räume, überdimensionierte Räume. Die tauchen immer wieder auf. Würden mir auch gefallen.  Frederick Jack verliert sich an dem Tag der Party in Betrachtungen über sein Leben, über sein Alter, über die Juden, über die Deutschen, über die Politik, über die Wirtschaft, über, über, über.....  Dann taucht Esther auf und die verliert sich mehrmals in  Betrachtungen über ihre Hände. Esther ist seine Frau.  Also die mit diesen Händen.  Aber es ist nicht so, als würde Esther nur über ihre Hände nachdenken und diese betrachten, auch wenn sie es mehrmals  tut.  Quasi über ihre Hände hinweg, die sie ja immer wieder betrachtet, blickt sie ihr Personal an. Nicht nur das es stinkt, nein, es klaut. Alle Angestellten klauen. Das amüsiert übrigens Frederick.  Ach ja, was vielleicht noch wichtig wäre, jetzt handelt der „Roman“, der in meinen Augen nur ein Fragment ist, zwei Jahre vor dem großen Börsenzusammenbruch, Ende der 1920er Jahre.

In Fahrt kommt das Ganze natürlich schon, so wie es sich gehört. Nicht das es hektisch würde oder so; man hat Übung mit solchen Partys, die zu den glanzvollsten New Yorks gehören.  Und glanzvoll und furios wird es natürlich wenn die illustren Gäste eintreffen, auch wenn man gelegentlich noch Zeit hat, seine Hände zu betrachten. (Aber lassen wir jetzt mal die Redundanzen weg). Es wird jetzt genauso so, wie man sich das eben vorstellt in den ganzvollen 1920er Jahren, wenn die Upper Class  in New York in überdimensionierten Räumen eine glamouröse Party feiert. Und wer dann alles unter den Gästen ist! Selbst der Liebhaber von Mrs Jack ist da.... und das Ende möchte ich an dieser Stelle nicht verraten.

Ich sagte schon, es war keine verlorene Zeit, dieses Buch zu lesen. Und sicher werde ich irgendwann mal das Buch von Thomas Wolfe lesen, welches er selbst noch veröffentlich hat und seinen Ruhm begründete. Empfehlen? Ich kenne nur ein einen Menschen, dem ich es empfehlen könnte, der ist Professor für Amerikanistik an einer Uni, wobei ich sicher bin, daß der es schon gelesen hat, alleine von „Berufswegen“.  Alle anderen müssen selbst entscheiden, ob sie Interesse haben, Mäuschen zu sein, in den zwanziger Jahren in New York, auf einer Party bei den Jacks.


Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Susanne Höbel
Nachwort von Kurt Darsow
© 2011 für die deutsche Ausgabe by Manesse Verlag, Zürich
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Montag, 17. Dezember 2012

An Filidor


Hab Gold und Güter viel, wie Sand am Meere,
Sei eines Königs Liebling auch,
Ein Mädchen liebe dich, gefüllt sei dein Bauch
Mit Götterkost und sättige dich mit Ehre,
Die halbe Erde sei bedürftig deines Lichts -
Du lebest doch mit all dem vergebens,
Denn hast du nicht Philosophie des Lebens,
So hast du nichts.

Novalis

Sonntag, 9. Dezember 2012

Die weissen Götter


Der kleine Textauszug:

Die dritte Schlacht gegen Cortes – die Entscheidungsschlacht – hatte Prinz Kriegsmaske verloren, weil er Kreideschmetterling gewonnen, weil er, von rasender Eifersucht verleitet, während des Kampfes das Zelt seines Mitfeldherrn Piltecatl umstellen und Kreideschmetterling daraus rauben ließ, worauf Piltecatl mit vierzigtausend Kriegern sich grollend vom Kampffeld zurückzog. So benommen war Prinz Kriegsmaske von der zauberhaften Knäbin, daß ihm ihr Besitz all sein Mißgeschick aufwog. In seinem Palast hielt er sie eingeschlossen, umriegelt, umzirkt, als das Einmalige, das sie war. Ihr früheres Vergehen war ihr verziehen; der Todesstrafe durch den geglückten Todeslauf entronnen, war sie ja unantastbar. Ein Verliebter, dachte er auch nicht an Vergeltung. Wieder behängte er sie mit Juwelen, gab ihr Fächerträgerinnen, Sandalenbinderinnen, Haarkämmerinnen, Girlandenflechterinnen und schenkte ihr einen überaus kostbaren Handspiegel aus schwarzem Obsidian, damit sie an ihrer einzigartigen Schönheit Freude habe. Fünf alte Frauen aber hatten Auftrag, das Zwitterwesen nie aus den Augen zu lassen. Nur in wenigen, von Fontänen gekühlten Räumen und nur in einem kleinen Teil des Gartens war Kreideschmetterling zu lustwandeln gestattet.

Eduard Stucken: Die weißen Götter
1931

Mittwoch, 28. November 2012

Alex Capus: Eine Frage der Zeit


Hier reizte mich die Story: Ostfriesen aus Papenburg bauen ein Schiff und als es fertig ist, zerlegen sie es vor dem Stapellauf und packen es in fünftausend Holzkisten und verschiffen die nach Zentralafrika, also nicht ganz Zentralafrika, an den Tanganjikasee,  südlich des Kilimandscharo, um es wieder zusammenzubauen.  Das machen diese drei Ostfriesen, die keine Ostfriesen sind, sondern Emsländer. 

So war er halt, der Kaiser Wilhelm II. , der Krüppel, mit dem steifen Arm.   

Dieses Schiff wieder zusammen zu bauen, dauert über ein Jahr und für ein Jahr nun landen diese drei Emsländer, die immer für Ostfriesen gehalten werden in Deutsch-Ostafrika, während der erste Weltkrieg ausbricht.

Parallel zu dem authentischen Hintergrund dieser Geschichte von diesen Ostfriesen und dem Zusammenbau und dem Leben in Deutsch-Ostafrika, erzählt Alex Capus die Geschichte eines Briten, einem Oberstleutnant, der irgendwann von Winston Churchill beauftragt wird, zwei zu Kanonenboote umgebaute Ausflugsschiffe über den Landweg an den Tanganjikasee zu bringen. Diese Oberstleutnant hat es in sich. Er ist ein Aufschneider, der keine Freunde hat. Wider erwarten kommt er an Ziel.

Amüsant und unterhaltend liest sich das alles,  ein netter kleiner Roman.  Die Darstellung und Eigenschaften wie „feiner Humor mit illusionsloser Klarheit,“ die „raffiniert aufgebaute Spannung mit sensibler Charakterzeichnung“, die der Klappentext verspricht allerdings, oder gar die Beschreibung „wie eine Welt vermeintlicher Gewißheiten aus den Fugen gerät“ ist für meinen Geschmack eher ziemlich bieder rübergekommen.  Vielleicht ist das ja gewollt: Wann war noch mal die Zeit des Biedermeiers? Jedenfalls „klingt“ dieser Roman für mich, beim lesen,  so ziemlich nach Biedermeier.


Alex Capus: Eine Frage der Zeit

© 2007 by Albrecht Knaus Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: semper smile Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: AKG-Images


Freitag, 23. November 2012

Oliver Leistert, Theo Röhle (Hg): Generation Facebook


Ein Buch, von dem mir beim Lesen übel geworden ist, das mich tief erschüttert hat, Entsetzen mich packte und mein Leben wenigstens teilweise, wie ich hoffe, veränderte, war Generation Facebook aus dem Transcript Verlag Bielefeld, 2011 von Oliver Leistert und Theo Röhle herausgegeben.  Als erste Reaktion habe ich versucht, bei facebook den Stecker zu ziehen, was nebenbei gesagt nicht so ohne weiteres möglich ist: Facebook vergißt nie!

Leistert und Röhle haben hier  aktuelle Veröffentlichungen von verschiedenen Wissenschaftlern zusammengestellt, die sich auf verschiedene Weise zum Thema Web 2.0, facebook und vergleichbare Dienste geäußert haben und auf diesem Gebiet jahrelange Beobachtungen, Untersuchungen und Forschungen gemacht haben.

Heraus kam dabei eine vernichtende und erschütternde Bilanz , ein ziemlich genauer Einblick, was diese Dienste tun und wollen, was Nutzer und Nutzerinnen des Web 2.0 tun und wollen und welche Gefahren oder Möglichkeiten dadurch entstehen. Rigoros wird dabei mit Mythen, Vorstellungen und Hoffnungen aufgeräumt. Die im wesentlichen wissenschaftlichen Berichte und Texte können allerdings nicht unbedingt von Jedermann sofort verstanden werden. Der Versuch aber würde sich lohnen. Es sind fundierte, analytische und sachliche Texte, belegt durch teilweise lange Literaturhinweise, die zeigen, wie vielfältig und interdisziplinär über dieser Phänomen auch wissenschaftlich nachgedacht und geforscht wird.

Eines habe die meisten Texte und Kritiker gemeinsam, eine unterschwellige Forderung und Hoffnung: Das Web 2.0 besser, bewußter und freier zu machen, verbunden mit einigen durchaus visionären Forderungen, Möglichkeiten und Ausblicken.

Also Stecker ziehen ist nicht unbedingt der bessere Weg.


Oliver Leistert, Theo Röhle (Hg.): Generation Facebook

©  2011 transcript Verlag, Bielefeld
Umschlaggestaltung: Kordula Röckhaus, Bielefeld





Samstag, 17. November 2012

Javier Marias: Morgen in der Schlacht denk an mich


Schon mal darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, wenn der Mensch mit dem man gerade zum ersten mal  Sex haben will, sich kurz auf die Seite dreht und dann so ganz einfach stirbt? Man hat sich vielleicht nur zwei oder dreimal vorher getroffen, es gab gerade noch ein kleines Abendessen, man wartete darauf, daß das Kleinkind müde wurde und hat es ins Bett gebracht? Hemd, Bluse, BH ausgezogen.... und dann legt sich das Gegenüber kurz hin mit einem Lächeln, um nie wieder aufzustehen? Wie wäre das? In dem Roman ‚Morgen in der Schlacht denk an mich’ hat Javier Marias darüber geschrieben. Ein vierzig bis fünfzig jähriger Schriftsteller lernt eine verheiratete Frau mit einem Kleinkind kennen und als der Ehemann in London weilt, trifft man sich in deren Wohnung, ist mit der Frau und dem Kind zusammen, sieht fern, das Kind schläft ein und dann geht man ins Schlafzimmer.

Nun reagiert dieser Mann und der Held des Romans, dem so etwas widerfahren ist,  nicht wie man es vielleicht erwarten oder annehmen würde: Krankenwagen oder Polizei anrufen oder so etwas. Und das Lesen dieses Romans wird zu einer langen Reise durch seine Gedanken, den folgenden Handlungen in den Wochen danach und den sich daraus ergebenden Begegnungen.  Die Begegnung dann mit dem König von Spanien ist eine davon, für den Marias herrliche Namen erfindet, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß die Spanier ihren König Only the Lonely, den Einzigen, den Einsiedler, Alleinigen, Solus, Only You, Solitär nennen, nicht alles auf einmal, den dieser Held in einer Privataudienz mit dem Vater der Frau trifft,  die ein paar Tage zuvor neben ihm gestorben war, der aber nicht weiß, das dieser in der Nacht des Todes bei seiner Tochter war. Die Putzfrau des Königs von Spanien hat dabei einen Auftritt von der Länge, die man als ältere Frau benötigt, um von einem Ende des Audienzzimmers zum anderen braucht, wenn man den Putzwagen hinter sich her zieht, in Gedanken ist, und den König und seine Gäste gar nicht bemerkt. Okay, sie wird schneller, als sie diese dann bemerkt und der Solitär bedenkt sie mit einem kurzen freundlichen Nicken. Natürlich kommt es auch zu einer Begegnung mit dem Ehemann der Verstorbenen; Moment, es waren mehrere Begegnungen und natürlich ist die letzte dann der Showdown, überraschend, sehr überraschend.

Ausgesprochen kultiviert hat Marias in diesem Roman den langen Satz! Ich habe noch nie so lange Sätze gelesen, mal von dem Satz im Ulysses abgesehen, bei dem auf Satzzeichen und Leerstellen gänzlich verzichtet wurde, was man aber nicht vergleichen kann. Marias lange Sätze sind aber folgerichtig. Wer denkt schon, wenn er denkt, mit Komma und Punkt. Ihnen zu folgen ist darum nicht das geringste Problem.  Etwas, das zuweilen vielleicht, aber auch nur vielleicht, etwas strapaziert, ist das regelmäßig Wiederkehrende. Aber auch das ist notwendig, denn, wer denkt nicht mehrmals über die eine oder andere Sache nach.

‚Das Zutagetreten von Angst bringt den, der angst macht oder dazu imstande ist, auf bestimmte Gedanken, Vorbeugung gegen das, was noch nicht geschehen ist, ruft das Ergebnis auf den Plan, Verdacht entscheidet über das, was noch nicht feststand, und setzt es in Gang, bange Vorahnung und Erwartung zwingen dazu, die Hohlräume auszufüllen, die sie entstehen lassen und vertiefen, etwas muß geschehen, wenn wir wollen, daß sich Angst verflüchtigt, und das beste ist es, dafür zu sorgen, daß sie sich erfüllt.’ (Zitat: Seite 20)

Morgen in der Schlacht denk an mich ist ein außergewöhnlicher Roman, sicher nicht für Jedermann, ein klein wenig gewöhnungsbedürftig, dafür aber überraschend, unterhaltsam, witzig, tiefgründig und sicher dürfte man lange daran denken, mitten in den Schlachten, die jeder schlägt, so am Morgen.


Javier Marias: Morgen in der Schlacht denk an mich

Aus dem Spanischen übersetzt von Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn
© 1994 Javier Marias
Für die deutsche Ausgabe
© J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart 1998
Schutzumschlag: Dietrich Ebert



Mittwoch, 14. November 2012

Michael J. Sandel: Plädoyer gegen die Perfektion


Das Feuilleton der ZEIT machte vor kurzem groß mit Michael J. Sandel auf: Was ist ein gutes Leben? Sandel „lehrt Philosophie an der Universität Harvard, er ist berühmt für seine Vorlesung über Gerechtigkeit und seit ein paar Jahren der mediale Superstar unter den Philosophen der Welt“, heißt es in diesem Artikel.  Klar, daß ich nun neugierig geworden bin, denn bisher ging Sandel an mir vorbei.  Nun habe ich nicht sein neuestes Buch erwischst, sondern das Einzige, welches unsere Universitätsbibliothek Freihand hatte: Plädoyer gegen die Perfektion, aus dem Jahre 2008. Irgendwie nicht viel Auswahl in der Unibibliothek für einen Superstar unter den Philosophen. Um eine Ahnung davon zu bekommen, was ein Superstar unter den Philosophen so denkt und schreibt aber sollte es genügen.

Das Plädoyer gegen die Perfektion, Eine Ethik im Zeitalter der genetischen Technik, beleuchtet in fünf Kapiteln Problematiken, die sich aus der Stammzellforschung, der Eugenik, dem Schaffen von bionischen Athleten und dem entwerfen von Kindern der entwerfenden Eltern ergeben.  Dabei stellt Sandel das Für und Wider zunächst wertfrei gegenüber  und weißt auf mögliche Wirkungen und Folgen hin. Und das macht er für mich schlüssig, visionär und leicht verständlich. Das Plädoyer gegen die Perfektion ist  somit kein wissenschaftliches Fachbuch. Aber ein überaus wichtiges für unser Leben.

‚Vor einigen Jahren entschied ein Paar, daß es ein Kind haben wolle, vorzugsweise ein taubes. Beide Partner waren taub – und stolz darauf. Wie andere in der Gemeinschaft derer, die auf ihre Taubheit stolz sind, betrachteten Sharon Duchesneau und Candy McCullough Taubheit als kulturelle Identität, nicht als Behinderung, die es zu beheben galt. „Taub zu sein ist nichts weiter als eine Lebensform“, erklärte Duchesneau. „Wir fühlen uns als taube Menschen vollständig, und wir wollen die wunderbaren Seiten unserer tauben Gemeinschaft – ein Gefühl der Geborgenheit und der Verbundenheit – mit Kindern teilen. Wir sind ganz und gar davon überzeugt, daß wir als taube Menschen ein erfülltes Leben leben.“
In der Hoffnung, ein taubes Kind zu zeugen, wählten sie einen Samenspender, in dessen Familie seit fünf Generationen Taubheit auftritt. Und sie waren erfolgreich. Ihr Sohn Garvin wurde taub geboren.’ (Zitat: Seite 23)

(Eines vielleicht noch: Die Erste Auflage strotzt geradezu vor Druckfehlern.)


Michael J. Sandel: Plädoyer gegen die Perfektion

Aus dem Amerikanischen von Rudolf Teuwsen
Mit einem Vorwort von Jürgen Habermas
©  der deutschen Ausgabe: Berlin University Press 2008
Ausstattung und Umschlag: Groothius, Lohfert, Consorten | glcons.de



Sonntag, 28. Oktober 2012

James Matthew Barrie: Peter Pan


Gelegentlich ein Kinderbuch zu lesen, ist für mich eine ausgesprochen vergnügliche und auch anregende Angelegenheit. Es entspannt mich, amüsiert und regt mich auch an. Da sind dann so viele Bilder in meinem Kopf, die sich dort so vierzig, fünfzig Jahre lang angesammelt haben.  Und interessant für mich sind dann auch die soziologischen Geschichtspunkte, von den literarischen mal ganz abgesehen.

‚ ALLE KINDER, außer einem, werden erwachsen. Sie wissen schon bald, daß sie erwachsen werden, und Wendy erfuhr es auf folgende Weise: Eines Tages, sie war zwei Jahre alt, spielte sie im Garten. Sie pflückte Blumen und rannte damit zu ihrer Mutter. Ich glaube, sie hat wohl ganz reizend ausgesehen, denn Mrs Darling legte die Hand aufs Herz und rief aus: „Ach, warum kannst du nur nicht immer so bleiben!“ Das war alles, was diesbezüglich zwischen ihnen gesagt wurde, aber von nun an wußte Wendy, daß sie erwachsen werden würde. Du weißt es einfach, wenn du zwei Jahre alt bist. Zwei ist der Anfang vom Ende.’ (Zitat, Seite 10)


James Matthew Barrie: Peter Pan

Aus dem Englischen von Angelika Eisold-Viebig
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1911 unter dem Titel Peter and Wendy
© dieser Ausgabe Arena Verlag GmbH, Würzburg 1994
Einbandillustration © Chris Riddell

Dortmund liest...


Rewe, Rheinische Straße, im Dortmunder WESTEND


Donnerstag, 25. Oktober 2012

Sascha Lobo: Strohfeuer


Sascha Lobo ist Blogger, Twitterer und bezeichnet sich als Strategiebrater. Ein paar andere selbsterfundene Berufe, verkündet er salopp,  könne er auch noch nennen. Er steht wohl für das, wovon viele Blogger träumen. 2010 erschien sein Debütroman, den ich vor ein paar Monaten als Mängelexemplar in der Mayerschen Buchhandlung in Dortmund für einen Euro aus der weißen Tonne fischte und mir an einem Nachmittag genüßlich reinzog. Es sind nur 285 großzügig gesetzte Seiten.  Mein „genüßliches Reinziehen“ geschah aber nicht ohne gewisse Vorbehalte und immer wieder tauchte die Frage auf, wie blöd man eigentlich sein muß, kann oder darf. Das mit dem Blöd ist aber so eine Sache für sich und heißt nicht, daß ich diesen Roman blöd finde.

Auf dem Umschlag heißt es: „Tausche Seele gegen Erfolg. Sascha Lobos packender Debütroman über die Lebensgier in den Zeiten der New Economy“.  Zum einen gibt es diese Lebensgier nicht erst seit den Zeiten der New Economy, sondern gerade im Kapitalismus in den unterschiedlichsten Variationen und zum anderen drückt sich diese in jeder Branche aus.  Was in diesem Roman so unterhaltsam und gleichzeitig berechnend für die New Economy typisch herausgestellt wird ist ein alter Hut und gilt auch für Friseure, Verlage, Kneipen, Banken und viele andere Branchen.  Jetzt habe ich die Floristen vergessen; die hatten auch mal Konjunktur und waren in und chic. Fitneßclubs habe ich vergessen zu erwähnen.

Stefan, der Icherzähler, ist fünfundzwanzig. Er kommt als cooler, lässiger Typ rüber, nach dem Motto, was kostet die Welt und was macht ihm am meisten Spaß, was gefällt ihm, was gibt es zu trinken und welche Frau kann er vögeln.  Er mag die Mercedes S-Klasse.  Seine Freunde sind so cool und lässig wie er.  Thorsten, zu meiner Zeit nannte man so was wie Thorsten einen Schaumschläger, vermittelt Stefan in die Werbeagentur in der er selber arbeitet, eine Zeitlang blenden und beeindrucken sie zusammen dort, Thorsten mehr als Stefan und irgendwann fliegt Thorsten raus, was soll’s, war sowieso scheiße, und dann kommt es zur schnellen Gründung einer eigenen Agentur und so ein, zwei Jahr lang hat man Konjunktur. Okay, es wird nicht die S-Klasse, weil Thorsten steht auf A 8! Ist ja auch egal. Stefan wurde nur einmal von der S-Klasse mit dreihundert Stundenkilometern überholt, als er selber zweihundertfünfundachtzig fuhr.

Es gibt noch ein paar andere Figuren in diesem Roman, aber das sind eher eingeschobene Spots, Anekdötchen von und über die Stefan erzählt und berichtet. So ist die ganze Erzählstruktur keine Struktur, sondern eine Aneinanderreihung von klischeehaften Begegebnheiten die ganz bestimmte Reaktionen und Assoziationen beim Rezeptenten hervorrufen und wohl auch hervorrufen sollen.  Und das Ganze so ziemlich ohne Reflexionsebene. Aber wer braucht das schon bei soviel Coolness und Lebensgier? Es ist Unterhaltung! Wenn man so was mag....?!

Dennoch scheint mir noch etwas mir gelungen zu sein, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es beabsichtigt war. Die Darstellung von Oberflächlichkeit, Dummheit und Selbstgefälligkeit nicht nur einer Wirklichkeit.

Ein Satz machte mich stutzig. Woher kennt Sascha Lobo den Satz: „Where’s the beef?“



Sascha Lobo: Strohfeuer

© 2010 by Rowohlt – Berlin Verlag GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: any.way Walter Hellmann
Umschlagfoto: © Reto Klar

Freitag, 19. Oktober 2012

Walter: Viktorianische Ausschweifungen


Das interessanteste an diesem Buch ist für mich das einleitende Essay von Steven Marcus. In diesem Essay untersucht und betrachtet Marcus den Text „My Secret Life“ der aus über 4.000 Seiten bestehenden Fassung, die hier in einer Auswahl von 320 Seiten pornographischen Textes vorgelegt sind. Walter ist das gewählte Pseudonym des bis heute unbekannten Verfassers, auch wenn es einige Spekulationen über den Verfasser gibt.  Das Essay von Steven Marcus ist aus dem Jahre 1979 und dem bei Suhrkamp erschienen Buch: „Umkehrung der Moral. Sexualität und Pornographie im viktorianischen England“ entnommen und wurde dieser  mir vorliegenden broschierten Sonderausgabe mit Texten von Walter, die 1997 bei Eichborn erschienen ist,  © Vito von Eichborn GmbH & Co. Verlag KG, vorangestellt.

„My Secret Life“ entstand  über vierzig Jahre hinweg im viktorianischen England, in dem dieser Unbekannte seine sexuellen Erfahrungen und Erlebnisse beschreibt, die er dann 1888 in angeblich sechs Exemplaren drucken ließ.  Der Verleger hat dann still und leise ein paar mehr gedruckt, und die Vermutungen reichen bis zu 25 Exemplaren.  Dieser Verfasser hat also so gut wie nichts anderes getan, als vierzig Jahre lang rumzuhuren, und rühmt sich selbst, keine Perversion ausgelassen zu haben und darüber zu schreiben. Das darüber Schreiben wurde ihm, wie Marcus darstellt, Teil seiner Obsession und Befriedigung.

Die Aspekte und die Bedeutung die Steven Marcus diesem „Werk“ beimißt, ist aber eine ganz andere: Die Informationen über den Zustand und die Zeit dieser viktorianischen Gesellschaft und die soziologische Bedeutung dieses Werkes.  Dabei stellt Steven Marcus eine interessante These auf: Er geht davon aus, das alle damaligen berühmten Autoren und der Großteil der Literatur dieser Epoche, zum einen von diesen Zuständen und Verhältnissen gewußt haben und zum andern beeinflußt wurde! So stellt Steven Marcus Textstellen der Weltliteratur den pornographischen Schilderungen Walters gegenüber, die zur gleichen Zeit in England entstanden sind und schlägt den Bogen sogar bis in die beginnende Moderne der Literatur wie von James Joyce.

„Man kann gegenüber einigen Einzelheiten dieser Episode durchaus skeptisch sein. Ich muß zugeben, daß auch ich einige Vorbehalte hatte, bis ich auf eine Passage bei Dickens stieß, welche die Beschreibungen in My Secret Life bestätigt.“ (Zitat Seite 79)

Diese Buch hier besteht also aus zwei Teilen: Dem Essay von Steven Marcus mit 119 Seiten und dann der Auswahl von 320 Seiten aus Walters „My Secret Life“

Der zweite Teil nun schildert Walters sexuelle Erlebnisse aus seiner Kindheit, seiner Jugend und seinem Alter. Ich bin mir jetzt nicht mehr sicher ob er es mit 1.000 Frauen oder 1.600 Frauen getrieben hat, und ehrlich gesagt habe ich keine Lust, das jetzt zu recherchieren. Ist vielleicht auch nicht so wichtig. Das pornographische Literatur auf Dauer keine Befriedigung bringt, hat Steven Marcus auch in seinem vorangestellten Essay erläutert, und dem kann ich, nachdem ich mir diese 320 Seite Pornographie reingezogen habe, nur beipflichten.  Walter war besessen von Mösen und pissenden Frauen und das alles lesen zu müssen, hat mich nicht gerade angemacht und wurde dann doch ziemlich langweilig. Das fing schon in seiner Kindheit und Jugend an, und auf den ersten 100 Seiten dieser Auswahl berichtet er hauptsächlich davon, bis er dann irgendwann seinen ersten Koitus mit einem Dienstmädchen hatte.  Interessant sind tatsächlich eben die Stellen, wenn er über die berichtet, mit denen er es getrieben hat in vierzig oder fünfzig Jahren (die genaue Zeit seiner Promiskuität habe ich auch vergessen und es ist ja auch egal ob er sich vierzig oder fünfzig Jahre vergnügt hat).

Wertvoll und bedeutend ist dieses Werk eben durch seine nachgewiesene Authentizität und Offenheit hinsichtlich der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse sowie der möglichen Rückschlüssen und Deutungen, die sich auf die weitere zeitgleiche und folgende Literatur ergibt.  Und man erfährt, was berühmte Autoren wußten, andeuteten und verschlüsselten und sich teilweise eben nicht zu schreiben trauten.


Walter: Viktorianische Ausschweifungen

Übersetzt von Reinhard Kaiser
Mit einem Essay von Steven Marcus

Broschierte Sonderausgabe
© 1997 Vito von Eichborn GmbH & Co. Verlag KG, Frankfurt am Main
Essay von Steven Marcus aus
„Umkehrung der Moral. Sexualität und Pornographie im viktorianischen England“.
©  1979 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main



Mittwoch, 17. Oktober 2012

Kazuo Ishiguro: Was vom Tage übrigblieb


Anfang der 1990er Jahre kamen die Japaner als die große literarische Entdeckung auf den Buchmarkt. Warum ich damals, diesen Roman nicht gelesen habe, weiß ich gar nicht so genau.  Und als dann die Hollywoodverfilmung (oder war es eine englische Filmproduktion?) gezeigt wurde, da wußte ich schon nicht mehr, daß tatsächlich ein Japaner diesen damaligen Bestseller geschrieben hat. Jetzt im September brachte btb in seiner süßen besonderen Taschenbuchreihe eine Sonderausgabe heraus.

Es verwunderte mich zunächst schon ein kleines bißchen, daß ausgerechnet ein Japaner die Geschichte eines Butlers aus der ersten Hälfte des vergangen Jahrhunderts geschrieben hat. Kazuo Ishiguro läßt Stevens, Butler auf Darling Hall, im Rückblick als Icherzähler, über seine Jahre auf diesem englischen Schloß nachdenken und Stevens tut das in einer Sprache, wie sie gewählter und feiner wohl nicht sein könnte, was zum größten Teil den besonderen Reiz und Erfolg dieses Buches ausmacht.  Und dieser Erzählstil umschmeichelt einen dermaßen, daß man beim Lesen jeden Augenblick damit rechnet, daß Stevens hereinkommt um den Tee zu servieren. Das Stevens dabei ein emotionaler Krüppel, durch und durch eine Art  devotes unterwürfiges Faktotum seiner ebenso degenerierten Herrschaft zu sein scheint, kann man bei den von Stevens so geäußerten und erzählten Erinnerungen leicht vergessen. Das Empire, vor dem Ersten Weltkrieg noch eine Weltmacht, liegt in seinen letzten Zügen und nur noch reiche Amerikaner können sich nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren solche Anwesen wie Darling Hall mit Butler leisten.

Stevens zelebriert unbeirrt englischen Lebensstil, genauso wie seine Herrschaft und die entsprechenden Gäste.  Aber vielleicht mußte es eben doch jemand von Außen sein, der diese damaligen Zustände so eindrucksvoll schildern konnte, und wer wäre besser dazu geeignet, als ein Japaner? Das soll nicht heißen, daß alle Japaner devot sind, sondern eben traditionell. Und dieses traditionelle Element  ist der zweite Grund für den Erfolg dieses Romans und auch des Films. Übrigens erschien es mir jetzt beim Lesen so, daß die literarische Vorlage nahezu eins zu eins übernommen wurde und nur zwei oder drei kleinere Anekdoten enthält, die im Film nicht gezeigt wurden.

Es gibt noch einen Bereich, der bis zu einem gewissen Grad auch zum Erfolg dieses Romans geführt haben dürfte und den bezeichne ich als seine innere Qualität, die sich nicht bei oberflächlicher Betrachtung einstellt und das ist der, von dem ich annehme und hoffe, daß Ishiguro das auch so gemeint hat, denn es gibt Stellen, da hatte ich das Gefühl: So blöd kann doch kein Butler sein und in diesen Stellen wird es auf subtile Weise zuweilen tragisch.  Und das es dem Autor so ganz Ernst nicht gewesen sein kann, belegen für mich auch die letzten gedanklichen Betrachtungen  Stevens, die er zum Abschluß, im vorletzten Absatz, nach seiner Reise durch die englische Landschaft und seine Erinnerungen hoffnungsvoll anstellt:

„Es ist möglich, daß diese Personen hier einander einfach verbunden sind in der Freude auf den bevorstehenden Abend. Aber andererseits hat es, bilde ich mir ein, vermutlich mehr mit jener Fertigkeit des Scherzens zu tun. Während ich ihnen jetzt lausche, höre ich sie ei9ne scherzhafte Bemerkung nach der anderen wechseln. Auf diese Art, so möchte ich annehmen, gehen viele Menschen gerne vor. Es ist sogar möglich, daß mein Bankgefährte von vorhin erwartete, daß wir miteinander scherzen würden – in welchem Falle ich für ihn vermutlich eine große Enttäuschung war. Vielleicht wird es in der Tat Zeit, daß ich das ganze Problem des scherzhaften Tons mit größerem Nachdruck angehe. Schließlich ist es, wenn man es sich überlegt, gar keine so törichte Beschäftigung – zumal wenn es zutrifft, daß im scherzhaften Ton der Schlüssel zur menschlichen Wärme liegt.“ (Zitat Seite 405, vorletzte Seite.)


Kazuo Ishiguro: Was vom Tage übrigblieb

Aus dem Englischen von Hermann Stiehl
Einmalige Sonderausgabe September  2012
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Die Originalausgabe erschien 1989
© der deutschsprachigen Ausgabe 2005 by  
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Umschlagmotiv: JHB Studio / Graphistock / Corbis

Dienstag, 9. Oktober 2012

Dortmund liest..... im Westpark




....im Westpark






Erst zögerte sie ein wenig mir zu zeigen, was sie da liest und meinte, sie müsse sich deßhalb schämen, aber dann erzählte sie ganz begeistert: Es ist ein Vampirthriller, und sie empfiehlt es sogar! fünf Punkte!

Montag, 8. Oktober 2012

Ben Macintrye: Der Mann, der König war


Nur der Ordnung halber: 1839 war Josiah Harlan, ein Ex-Quäker aus Chester Country, Pennsylvania, gerade mal vierzig Jahre alt, de jure durchaus zu einem König erklärt; aber so richtig, mit Krönung, Krone und Palast, ist dann doch nichts draus geworden, obwohl er verdammt na dran war, bevor er wieder in Amerika mit zweiundsechzig Jahren versuchte, Weintrauben aus Afghanistan zu verscherbeln, was ihm auch nicht gelang.

Josiah Harlan war ein Glücksritter, ein Abenteurer, einer von mehreren Europäern, die sich vor rund zweihundert Jahren in den Reichen des fernen Ostens durchschlugen und ihre Dienste dem jeweils meistbietenden König, Maharadscha oder Fürsten anboten. Und nebenbei waren sie Spione des britischen Königreiches, der damaligen führenden imperialistischen Großmacht.  Das alles macht seine Lebensgeschichte natürlich überaus interessant und lesenswert, die der heutige Journalist Ben Macintyre eindrucksvoll in diesem Buch, 2005 erschienen, erzählt.

Harlan hat über sein Leben umfangreiche Aufzeichnungen hinterlassen und war auch für Rudyard Kiplings Roman, Der Mann der König sein wollte, Anfang des 20. Jahrhunderts die Vorlage, aus der John Husten dann 1975 einen Film mit Sean Connery und Michael Caine mit gleichem Titel machte.

Was waren das für Zeiten, als man als enttäuschter und frustrierter Außenseiter noch losziehen, sich bei der Arme als Chirurg und Arzt verdingen, ohne Ausbildung und so richtig fett auf die Kacke hauen konnte um mitzuspielen, in diesem Großen Spiel um Macht und Ansehen, welches heute ja immer noch gespielt wird. Ich schätze mal, vergleichbare Abenteurer, Glücksritter, Egomanen und sonstwie vermeintlich gescheiterte Existenzen haben immer Konjunktur und wie vor zweihundert Jahren schachern ja auch heute noch sogenannte Großmächte um Länder wie Afghanistan und andere Gebiete.  So deckt dieses Buch auch interessante Parallelen zur heutigen Zeit auf, was mich persönlich immer wieder entsetzt und zu dem Schluß kommen läßt, daß sich nicht viel verändert und der Mensch nichts dazulernt, was aus ihm einen hilfreichen und guten Menschen machen würde.

Als Harlan die Bühne der damaligen Welt betrat, hatte Afghanistan eine rund dreihundert Jahre lange glanzvolle Geschichte als Großmacht hinter sich, um deren Trümmer sich nun die degenerierten Erben, die britische Weltmacht, bedroht vom russischen Zarenreich prügelten und Europa verdaute gerade noch Napoleon.  Spannend also. Einer von Harlans Gegenspielern war auch ein General aus Napoleons Diensten, der sich auf den Subkontinent abgeseilt hatte und die Arme eines indischen Maharadschas befehligte. Der General hatte übrigens zum Ende hin mehr Glück als Harlan und setzte sich dann, reich und in Ehren, im Alter in Neapel zur Ruhe und mußte nicht versuchen, Weintrauben zu verkaufen wie Harlan dann in Amerika. Glück hatte aber Harlan dennoch. Einer seiner anderen Gegenspieler, ein Engländer, ein Deserteur der englischen Kolonialarme, machte ebenfalls Karriere als Berater eines mächtigen Stammesfürsten, wurde dann aber in Kabul von der Bevölkerung bestialisch in Stücke gerissen und dann erst getötet.

Nase, Ohren, Füße, Hoden abschneiden, sind damals noch die harmlosesten Folgen von Fehlern gewesen mit denen man rechnen mußte, wenn man für einen dortigen Fürsten arbeitete. Solche fühlbaren Maßnahmen hatten bei damaligen Politikern zumindest aber durchaus Erfolge. Mit ohne Nase, oder ohne Ohren, oder ohne Hand erfüllte man immer noch seine Pflichten.

Was ich noch sehr interessant fand, waren die Beschreibungen über die Spionagetätigkeit dieser Europäer, die für die englische Krone arbeiteten. Das erinnerte mich verdammt an die Berichte über die CIA noch im ausgehenden 20. Jahrhundert.

Alles in allem ein überaus lehrreiches, spannendes und unterhaltendes Geschichtsbuch, wenn denn der Mensch tatsächlich etwas lernen würde, was ja nicht der Fall war, denn noch immer prügeln sie sich um Afghanistan.

„Die Britten hatten jedoch andere Pläne, und Harlans Kenntnisse blieben ungenutzt. Mit wachsender Verblüffung und sorge mußte er zusehen, wie das Empire Stück um Stück nach Kabul verpflanzt wurde. Jahrelang hatte sich Harlan intensiv mit den afghanischen Bräuchen und Sitten beschäftigt, während sich die Briten nicht im Geringsten um die lokale Kultur scherten, die sie mißbrauchten, verdrängten oder ignorierten. Sie spielten Polo und Cricket, hielten Teepartys ab und inszenierten Laienspiele. Einige holten ihre Frauen, die furchterregenden britischen Memsahibs, herbei, um besser vortäuschen zu können, daß Afghanistan wirklich ein Teil Indiens sei. Die schlimmste Unbequemlichkeit der frühen Tage – sie wurde bald behoben – war ein Mangel an Wein und Zigarren. Die Eroberer zeichneten sich nun zudem selbst mit Orden und Titeln für den erfolgreichen Feldzug aus: Auckland erhielt die Grafenwürde, Macnaghten den Titel eines Barons und Claude Wade die Ritterwürde. ‚Ritterschläge, Ordensbänder und Beförderungen wurden den Siegern über die elenden Afghanen mit verschwenderischem Großmut zugeteilt’, bemerkte Harlan mürrisch. Dies seien die Belohnungen Ihrer Majestät für ‚die Auslöschung einer freien Nation’.  (Zitat Seite 297)



Ben Macintyre: Der Mann, der König war

Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter
© 2005 Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG, Berlin
Bildnachweis: Schutzumschlag: obere Abb.: akg-images,
untere Abb.: akg-images / Paul Almasy

Dienstag, 2. Oktober 2012

Milena Agus: Die Frau im Mond


Was für ein kleines, gerissenes Luder! Dabei ist die Autorin 1959 geboren, was diesen Gedanken, den ich über sie beim Lesen ihres Romans „Die Frau im Mond“ entwickelte, vielleicht nicht ganz passend macht.  Aber ich wiederhole ihn auch am Morgen danach: So ein kleines gerissenes Luder! Und ich meine das mit allem nötigen Respekt und voller Bewunderung für die Autorin, denn dieser einhundertsechsunddreißig Seiten dünne Roman gehört zu den Besten, die ich dieses Jahr gelesen habe.  Es gibt noch ein paar andere Beste Romane die ich in diesem Jahr gelesen habe, aber die waren samt und sonders alle über vierhundert Seiten dick, und von Männern geschrieben und so erscheint mir Die Frau im Mond wie ein kleines Wunder, welches zu schaffen wohl eher Frauen in der Lage sind, denn Männer, die alles haarklein und Seitenlang erzählen wollen.

Erzählt wird die Geschichte einer „verrückten“ Bauerntochter auf Sardinien, die einfach keinen Ehemann findet, obwohl sie zunächst zahlreiche Verehrer hat, die aber dann irgendwann Reißaus nehmen.  Also eine klassische Liebesgeschichte?! Klar, aber was für eine! Die Agus führt uns hier das Leben dreier Generationen vor, auf diesen einhundertsechsunddreißig Seiten der deutschen Originalausgabe, daß einem zuweilen der Atem stockt und man überlegen muß, wo bin ich denn eigentlich gerade und wenn man das wieder weiß, berührt sie mit einem feinen Nebensatz, einer schlüpfrigen Bemerkung oder einem zeitlichen Hinweis alles was sie auf außergewöhnliche Weise im Leser vorher berührt und ausgelöst hat; womit ich eben wieder bei meinem kleinen, gerissenen Luder wäre.

„Während des Kuraufenthalts fehlte ihm das Klavier sehr – das heißt, es hatte ihm gefehlt, bis er Großmutter kennenlernte. Jetzt war es ein wenig wie Klavierspielen, wenn er sich mit ihr unterhielt, wenn er sah, wie sie lachte oder einen traurigen Ausdruck annahm oder wie sich ihre Haare beim Gestikulieren lösten, und wenn sein Blick bewundernd an den zarten Innenseiten ihrer Handgelenke hängen blieb, die einen solchen Kontrast zu den rissigen Händen bildeten. Von jenem Tag an waren Großmutter und der Reduce unzertrennlich, es sei denn, einer von beiden mußte schweren Herzens Pipi machen gehen. Sie kümmerten sich nicht um das Gerede der Leute, er, weil er aus dem Norden des Landes kam, und Großmutter auch nicht, obwohl sie eine Sardin war.“ (Zitat Seite 36)

Dieser Roman erschien 2007 in Deutschland und der Verlag kam offensichtlich mit dem Drucken nach. Im Jahr seines Erscheinens wurden mindestens sechs Auflagen gedruckt!

Noch ein kleiner Tipp: Suchen Sie sich ein ruhiges Plätzchen: Fernseher aus, Radio aus, Handy aus und verrammeln sie die Tür vor der Welt und dann lesen Sie diesen Roman in einem durch. Das dauert nur zwei, oder drei Stunden.


Milena Agus: Die Frau im Mond

Aus dem Italienischen von Monika Köpfer
© 2007 Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
Umschlag: Steigenberger Graphikdesign, München
Foto: Johannes Kroemer / Getty Images

Mittwoch, 26. September 2012

Magnus Mills: Zum König!


Das Paradies mag auf einer windumtosten Hochebene, irgendwo auf der Welt, gelegen sein, mit einer Blechhütte darauf und die nächste Blechhütte erst wieder ein paar Meilen entfernt und Besucher sieht man schon eine oder zwei Stunden in der Ferne erscheinen, bevor sie einen erreichen.  Und glücklich und zufrieden erfüllt unser Held in diesem Roman seine Pflichten und Aufgaben, beseitigt den Sand vorm Haus und bringt es zu Meisterschaft beim Fegen im Haus.  Merkwürdig karg gibt sich die Kulisse, spröde erscheint der Held und surreal lesen sich die ersten Sätze und doch liest es sich „bezaubernd“ wie ein Märchen für Erwachsene. 

Wenn ich  schon die urältesten Mythen strapaziere, so natürlich auch den von Eva. In diesem Roman heißt sie Mary Petrie.  Mit ihrem Auftritt kommt Leben in die Bude, oder sollte ich besser schreiben, in die Blechhütte? Und im ersten Teil dieser herrlichen Fabel vermutet man, es geht genau darum, um die Vertreibung aus dem Paradies, um Mann und Frau. Aber das ist ein Irrtum.

‚Auf meinem Weg nach Westen dachte ich an Mary Petrie und erinnerte mich, wie hilflos sie bei ihrer Ankunft gewirkt hatte. Sie hatte eine Welt mitgebracht, die sich um einen Koffer, einen Spiegel und ein Schminkköfferchen drehte, und verstand nichts vom Leben in einem Blechhaus. Das Geräusch dieses Hammers, das hinter mir immer leiser wurde, bezeugte, daß sie sich seither mit dem Thema voll und ganz vertraut gemacht hatte. Der Winde wehte kräftig an diesem Tag und blies kleine Sandschauer über die Ebene. Er war jedoch nicht stark genug, um die vielen Trampelpfade zu verwehen, die ich vorfand. Während meiner gesamten Wanderung stieß ich immer wieder auf sie. Alle führten entschlossen nach Westen. Ich kam an den Plätzen vorbei, wo Simon, Steve und Philip einst gelebt hatten, und setzte dann meinen Weg in Hinterland fort, ohne genau zu wissen, was mich erwartete.’ (Zitat Seite 111)

Simon, Steve und Philip waren Nachbarn und lebten ebenfalls in Blechhütten auf der Hochebene, die angelockt von Eva, äh, ich meine Mary, zu besuch kamen. Da hier alles etwas langsamer vor sich geht, waren sie eines Tages verschwunden; samt Blechhäusern. Und immer häufiger, in der Ferne zu beobachtend, erschienen Gestalten und schufen Trampelpfade.... gen Westen!

Magnus Mills ist 1954 geboren und lebte in London, als dieser Roman 2004 auf Deutsch erschien.



Magnus Mills: Zum König!

Aus dem Englischen von Katharina Böhmer
© 2001 Magnus Mills
© 2004 der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner

Dortmund liest.... und WESTWORD schreibt


WESTWORD... das sind die fantastischen Vier. Damen, die sich dem Schreiben verschrieben haben und in meinem Viertel eine "Arbeitsgemeinschaft" gegründet haben und SCHREIBEN: Romane, Kurzgeschichten, Lyrik....







Da gibt es dem historischen Roman der 1701 beginnt und in Dortmund handelt;
















den aktuellen Roman über einen alten Typen aus dem Westend-Viertel;










 







die Kurzgeschichten zum Teil über einen jungen Schnösel und seine Ansichten und Handlungen













und Gedichte bestehend aus unter die Haut gehenden Worten hingehaucht....


die Dame links, leider habe ich vor lauter Ergriffenheit beim Zuhören vergessen, ein besseres Bild zu machen

Montag, 24. September 2012

Michael Frayn: Gegen Ende des Morgens


Den 1933 geborenen Michael Frayn, britischer Autor,  habe ich erst vor ein paar Wochen entdeckt und sein dieses Jahr erschienenen Roman  „Willkommen auf Skios“ gelesen. Das ich ihn weiterlesen wollte war danach klar. Gegen Ende des Morgen hat er 1967 geschrieben und liegt er seit  2007 als Deutsche Erstausgabe vor.  Frayn nennt ihn seinen Fleet Street Roman.

John Dyson ist Leiter der Abteilung für das Kreuzworträtsel und Vermischte Meldungen einer großen englischen Tageszeitung, Ende der 1960er Jahre. Also kein Handy, keine PC, kein www.  Dyson träumt von Fernsehruhm und dem Leben eines Gentleman und dann bekommt er tatsächlich seine große Chance.

„Ich bin weiß Gott ein Versager, eine unmaßgebliche menschliche Nichtigkeit, auf der jeder dahergelaufene Passant gleichgültig herumtrampelt, dachte Dyson, als er seiner Frau mit geballten Fäusten in den Hosentaschen und einem unnachgiebigen Stirnrunzeln von der Küche ins Wohnzimmer folgte, aber es gibt etwas auf dieser Welt, das ich mir nicht bieten lasse, und das ist das Gekrittel meiner Frau. Davon lasse ich mich nicht kleinkriegen. Ich würde mich weiß Gott nicht beschweren, dachte er, wenn sie mich in halbwegs vernünftiger Manier bekrittelte. Ich bin es ja gewohnt, wie Dreck behandelt zu werden – stolz bin ich nicht. Es ist dieses stillschweigende Kritteln, das ich nicht ertrage, dieses schreckliche pseudosachliche Gekrittel, während sie so tut, als würde sie gar nicht kritteln. Es ist dieses alberne Ratespiel, bei dem ich herausfinden muß, wofür ich bekrittelt werde. Also wirklich, damit werde ich mir bestimmt nicht den Samstagvormittag um die Ohren schlagen. Ich werde einfach wortlos das Haus verlassen und ein paar Tage in meinem Club verbringen. Ja, wenn ich einen hätte, würde ich das tun.“ (Zitat Seite 163)

Fast bekommt man Mitleid, mit diesem Dyson wenn man so seine Mitarbeiter in der Redaktion kennenlernt, ihre Arbeitsweisen und Eigenheiten, die Frayn in einer unvergleichlich coolen trockenen, klugen und amüsanten Art und Weise darstellt, die typisch für Frayns Schreibe ist und die ihm verdientermaßen den Ruf einbrachte, „einer der klügsten britischen Schriftsteller“ zu sein. Und das Schöne daran ist, man hat nie das Gefühl, belehrt zu werden.  Figuren, Dialoge, Handlungen... einfach brillant, rasant, meisterhaft und in diesem Roman mit einem überraschenden Ende!



Michael Frayn: Gegen Ende des Morgens

Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow
© 1967 by Michael Frayn, mit einem Nachwort © 2000 by Michael Frayn
© 2007 by Dörlemann Verlag AG, Zürich
Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf
Foto © Mary Evans Picture Library




Dortmund liest....


In der Stadtbahn, zwischen Eving und Kampstraße


Sonntag, 23. September 2012

Michael Cobley: Die Ahnen der Sterne


Abgedreht! Abgefahren! Faszinierend! Hammermäßig! Man stelle sich das Universum wie einen Ameisenhaufen voller Ameisen vor. Und jede Ameise ist eine Zivilisation.... Bei Michael Cobley gibt es aber dazu noch einen Ameisenhaufen von Universen und Hyperräumen! Die Ahnen der Sterne ist der dritte Band dieser Space Opera, die wirklich eine ist!

An dieser Stelle aber zunächst ein wichtiger Tipp: Fangt mit dem ersten Band, Die Saat der Erde an, dann den zweiten Band, Waisen des Alls  und gebt euch mit diesem dritten Band des Rest dies unglaublich abgefahrenen Spektakels.

Der gesamte zivilisierte Bereich umfaßt 227.175 Sternensysteme mit 917.900 bewohnten Welten und Habitaten, einer Gesamtbevölkerung von rund 2.100 Billionen, sowie einer Legion von rund 1,1 Millionen Avataren und irgendwo eine Gottheit, zu dem ein Botschafter Kontakt hält.  Von diesem Augenblick an müßte es eigentlich ziemlich unübersichtlich werden. Von wegen: Einfach das Gehirn ausschalten und lesen, lesen, lesen und Du bist mittendrin in diesem unglaublich aufregenden Gewühl und damit Du alles verstehen und verfolgen kannst, hat sich Michael Cobley eines Tricks bedient, der durch alle drei Bände geht und überall gleich ist: Es gibt gerade mal 14 Hauptpersonen, einschließlich der Gottheit, die in kurzen überschaubaren Kapiteln und Handlungssträngen vor diesem  kolossalen Hintergrund agieren. 

Zum Ende eine jeden Bandes führt er diese Handlungsstränge immer enger zusammen. Die Spannung die Cobley dadurch aufbaut ist beeindruckend und hier tun sich wirklich ungeahnte Welten auf und Du bist mitten drin in diesem Ameisenhaufen.  Ob das Ganze technisch möglich ist, spielt hierbei keine Rolle, denn Cobley hat quasi nur  „weitergesponnen“  was die Wissenschaft heute so alles spekuliert und das hat er ausgesprochen gut gemacht.

Da gibt es übrigens noch ein großes Geheimnis, welches nahezu alles irgendwie und irgendwo antreibt. Lesespaß pur war das für mich!


Michael Cobley: Die Ahnen der Sterne

© 2011 Michael Cobley
©  2012 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagsillustration: Steve Stone
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Samstag, 22. September 2012

Henry Fielding


 
Es war der erste Tag des Decembers 1741, wie ich dieses Leben und meine Wohnung in Cheapside verließ. Mein Körper war bereits einige Zeit todt, ehe ich die Freyheit hatte ihn zu verlassen, in der Erwartung, derselbe möchte durch einen oder den anderen Zufall wieder ein Leben erhalten. Diese Verbindlichkeit ist allen Seelen durch die ewigen Gesetze des Schicksals auferlegt worden, um aller Unordnung vorzubeugen, die sonst entstehen könnte. Sobald die bestimmte Zeit meiner Verweilung verflossen war, (die jedoch nicht länger dauerte, als bis der Körper völlig kalt und steif geworden war) fing ich an mich in Bewegung zu setzen; traf aber viele Hinderniße an, die meinen Abzug aufhielten: der Mund, oder die eigentliche Thür war verschlossen, so daß ich es unmöglich fand, da durchzudringen; die Fenster, oder wie man gemeiniglich redet, die Augen, waren durch die vorsichtige Hand einer Wärterin so fest zusammen gedruckt worden, daß alle Versuche sie zu öffnen vergeblich waren; endlich entdeckte ich einen Strahl eines Lichts, welches am Dache des Hauses (denn so nenne ich den Körper, worin ich verschlossen war,) schimmerte; ich schwung mich dahin an, und ließ mich wiederum durch eine Art von Kamingange behende herab, oder deutlicher, ich entwischte durch die Naßlöcher. 

Kein Gefangener, der aus einer langen Einsperrung entlassen wird, kann die Annehmlichkeiten der Freyheit mit größerem Vergnügen empfinden, als ich, da ich jetzo aus einem Kerker befreyet wurde, worin ich mehr als vierzig Jahre war eingeschlossen gewesen, und unter diesen entzückenden Betrachtungen wendete ich noch einmal meine Augen auf denselben zurück.

(Henry Fielding: Eine Reise von dieser Welt in die nächste, Kopenhagen, 1759, sic)

Donnerstag, 20. September 2012

Basilius von Cäsarea: Über den Heiligen Geist

Bei den italienischen Humanisten des Quattrocento stand Basilius in hohem Ansehen und 1531 lieferte Erasmus von Rotterdam eine Übersetzung des De Spiritu Sancto, welches Basilius wohl Ende 375 verfaßte. In dieser Schrift sucht Basilius auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Heiligem Geist und Vater und Sohn Antwort zu geben. Im Wesentlichen geht es
um die Präpositionen: In, mit, aus, durch, nach.

Zugrund liegt ein Streit zwischen verschiedenen Glaubenlehren und –richtungen, die erklären, „der Sohn sei nicht „mit“ dem Vater, sondern „nach“ dem Vater. „Durch ihn“ wird auch auf den Vater angewandt, „aus ihm“ auch auf den Sohn und den Geist.

Ihr meint, man streite sich um des Kaisers Bart? Die christliche Religionslehre erfuhr in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt durch wenige Männer, einer davon war Basilius, ihr bis heute gültiges grundlegendes Verständnis und auch noch heute streiten Bischöfe, Kardinäle und Gelehrte, wie denn das so ist mit dem IN, MIT, AUS, DURCH und dem nach.

Die anfangs im Herder Verlag erschienene Reihe Fontes Christiani ist eine beeindruckende Reihe von christlichen Quellentexten aus Altertum und Mittelalter. Inzwischen scheint denen aber das Geld ausgegangen zu sein und irgendein Schweizer Verlag versucht die Reihe weiterzuführen.
 
 
Basilius von Cäsarea: DE SPIRITU SANCTO - Über den Heiligen Geist
 
(c) Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1993 
 
 
 

Mittwoch, 19. September 2012

Eduardo Mendoza: Katzenkrieg


Enttäuschend, aber so was auch von enttäuschend! Mit Katzenkrieg legt Eduardo Mendoza einen Roman vor, der auch nicht entfernt an seine großartigen früheren Romane heranreicht.  Von seiner wunderbaren Sprache, seiner Feinfühligkeit und Sorgfalt mit der er früher Figuren komponierte ist nur noch wenig zu ahnen und manche Sätze „klingen“ einfach nicht mehr. Sein bislang hintergründiger subtiler Humor ist hier der Schatten seiner selbst.  Dabei klingt die Story recht verlockend: Englischer Kunstsachverständiger im Madrid des Frühjahrs 1936, Kommunisten, Faschisten, Putsch, Spione, der Herzog, die Familie des Herzogs mit frivolen Töchtern, ein Bild Velázquez, ein Dandy, eine Mädchenprostituierte; eigentlich genau die richtige Gemengelage für Mendoza, der früher mit so was zauberte. Diesmal gelingt es ihm leider nicht und sprachlich bleibt er in diesem Roman Mittelmaß.  Und was den Leser gelegentlich verwirrt, angesichts dieses Übermaßes, scheint wohl fast auch Mendoza gelegentlich überfordert zu haben und klingt ungewohnt hölzern an einige Stellen.

Irgendwie kann man als Leser zwar auf seine Kosten kommen, wenn man denn mit einem durchschnittlichen Politthriller und Historienroman zufrieden ist, auch wenn diese Historie gerade mal so rund achtzig Jahre her ist und wahrscheinlich liegt auch darin der Grund, im Nationalstolz der Spanier, warum dieser Roman gerade in Spanien zu einem Bestseller geworden ist.

Mendoza ist und bleibt aber einer der großen spanischen Autoren und die, die ihn erlesen wollen, wären gut beraten mit seinen früheren Romanen wie „Die Wahrheit über den Fall Savolta“ oder „Die Stadt der Wunder“ oder „Eine leichte Komödie“  zu beginnen.

Und die, die Mendoza lieben so wie ich, werden auch wie ich Katzenkrieg lesen und es ihm verzeihen, auch wenn es schmerzt.




Eduardo Mendoza: Katzenkrieg

Aus dem Spanischen von Peter Schwaar
Die Originalausgabe © 2010 Eduardo Mendoza
Die deutsche Ausgabe © 2012 Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München
Umschlaggestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, Michelle Corrodi, unter Verwendung zweier Fotos von © Bettmann/Corbis und © Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl Barcelona