Bettina Galvagni hat es geschafft! Als sie 17 Jahre alt war,
schrieb und veröffentlichte sie ihr erstes großes Prosawerk, einen von der
Literaturkritik hochgelobten „Roman“. Melancholia erschien 1997 im angesehenen
Residenz Verlag. Laut wikipedia ist Bettina Galvagni heute Ärztin, nachdem sie
unter die Räder des Literaturbetriebes gekommen war! So kann es einem enfant
prodige gehen. Jahre später fragte mal
die Zeit in einem Artikel, was denn aus ihr geworden sei, da wohl die meisten
ihrer Bücher als Mängelexemplare auf Wühltischen verramscht wurden und in
Antiquariaten verstaubten. Ob ich es nun vom Wühltisch oder aus einem
Antiquariat habe, weiß ich nicht mehr.
Nachdem ich es aber gelesen habe, hoffe ich inständig, daß Bettina
Galvagni Ärztin bleibt und nicht mehr schreibt. Erfahrungsgemäß aber steht das leider nicht zu erwarten, denn in
Melancholia schreibt sie selbst:
„Mein Leben lang wird das Schreiben wie ein Damoklesschwert
vor mir hängen und die warnenden Kassandrarufe ausgebeutetwerdender Anamnese
hintergehen. Langsam wird es mir Gift auf die Zunge legen. Ich werde andere
Leute in meinen Reaktor einschleusen, sie in- und auswendigkennen wie ein
Theaterspieler seinen Text.“ (Seite 183)
Aber was ist Melancholia nun für ein Buch? Der Verlag nennt
es (vorsichtshalber?) „ihre erste große Prosaarbeit“ aber schnell sprach die
Kritik von einem Roman und erging sich geradezu in Lobeshymnen. Allerdings habe
ich jetzt keine Ahnung, ob es nicht doch vielleicht jemanden gegeben hat, der
damals diese Prosaarbeit verrissen hat.
Bettina ist die Hauptfigur. Ein junges Mädchen,
wahrscheinlich siebzehn, vor, oder in der Matura und immer wieder krank und im
Krankenhaus. Der Vater ist auch im Krankenhaus. Aber nicht immer. Es geht um
Krebs, Magersucht, Schizophrenie,
Amputation, oder ist es doch nur der Blinddarm? War es die Tante oder die Mutter, die irgendwann die Frage nach
der eingebildeten Krankheit stellte? Ist auch nicht wichtig. Bettina liest!
Bettina liest wie eine Bekloppte! Auf rororo-Monographien fährt sie besonders
ab. Sie ließt fast soviel wie ich.
Und Bettina schreibt auch. Tolle Sätze zum Teil. Oh ja. Sie
versucht sogar James Joyce nachzuahmen und schafft es eine ganze Seite in
Melancholia ohne Satzzeichen zu
schreiben. Allerdings wurde das mit Leerstellen gesetzt; anders als im
Ulysses. Ist eigentlich auch egal.
Wie gesagt, ein paar ihrer Sätze, die man so eben völlig
unsortiert wie Gedanken in sein Tagebusch schreibt, in diesem Alter, klingen
lyrisch und poetisch, sind bildhaft, außergewöhnlich, auch schon mal schön,
auch mal stark und provozierend und auch amüsant. Ja, ich erinnere mich an
meine Stieftochter. Die konnte das auch mit 17, wie wohl die meisten in dem
Alter. Alles kein Grund in dieser Prosaarbeit etwas außergewöhnliches zu sehen,
oder gar von einem Roman zu sprechen und mit experimenteller Literatur hat es
auch nichts zu tun und erst recht nicht ist es in der Tradition der offenen
Moderne gehalten. Melancholia ist in meinen Augen nicht mehr und nicht weniger
als die Spielerei eines intelligenten jungen Mädchens, eine Träumerei von
Büchern, Ländern, Lesen, Schreiben und Krankheiten.
„Als eine Tante ein paar Tage mit mir verbrachte, hat sie
gemeint, ich sei verrückt, völlig verrückt, so verrückt, daß man es nicht mehr
aushalten könne. Man kann doch nicht den ganzen Haufen Bücher absorbieren und
bei Philosophiearbeiten in der Schule in einer Stunde zwanzig Seiten schreiben,
das ist doch nicht möglich, und Nietzsche und Heidegger, das geht doch nicht.
Ich pflichtete ihr bei, es war kurz vor der ersten Philosophiearbeit im zweiten
Semester, und schluckte weniger Bücheraspirin als gewöhnlich.“(Seite 51)
Bettina Galvagni: Melancholia
© 1997 Residenz Verlag, Salzburg und Wien