Mittwoch, 6. Juni 2012

Benedict Wells: Spinner


Für mich „alten Sack“, war es ein natürlich ein ausgesprochenes Vergnügen Benedict Wells ersten Roman „Spinner“, den er mit 19 Jahren geschrieben hat, zu lesen..... Lesen? Das war ein Leserausch! Ich habe ihn verschlungen und konnte erst aufhören, als ich in der letzten Zeile war und rauchte dabei zwei Schachteln Zigaretten und trank zwei Kannen Kaffee.

Jesper Lier, der Ich-Erzähler, zwanzig jährig, lebt seit einem Jahr in Berlin, in einem Kellerloch hausend und schreibt ein Monstrum von Roman mit über eintausenvierhundertundnochwas Seiten. Er erzählt drauf los, und der Leser erlebt seine letzte Woche in Berlin, an deren Ende er nach München zu seiner Mutter und seinem Bruder fährt, um bei deren Umzug zu helfen.

Klar: Jesper Lier ist das, was man so einen „Spinner“ nennt. Nomen est omen ; wenn man schon Jesper heißt. Dieser Jesper hat es aber in sich: Er ist klug, er denkt, er ist empfindsam, was mir diesen Burschen unglaublich sympathisch machte und er hat „diese eiskalten Hände“. Menschen schrecken immer zurück, wenn sie ihm die Hand geben.

Das ich dieses Buch in einem Rutsch durchlesen mußte, liegt eben auch daran, daß ich ein „alter Sack“ bin, wie Jesper mich wohl bezeichnen würde, und ich unglaublich neugierig darauf bin, wie so ein junger Mensch tickt, denkt, empfindet und die Welt in seiner Wahrnehmung erlebt. Und ganz genau das ist es, was Benedict Wells Jesper Lier erzählen läßt und mich gefangen und eingenommen hat. Dabei nimmt Wells kein Blatt vor den Mund, warum auch und Jesper Lier scheint durchaus in der Lage und bereit zu sein, auch auf „alte Säcke“ zu hören.

„Ich grinste auch, bis mir unerwartet einfiel, daß Biehler vielleicht noch gar nicht von Bornings Tod erfahren hatte. Ich wußte zwar, daß er bei Borning in München Germanistik studiert und seine Doktorarbeit gemacht hatte, aber ich hatte keine Ahnung wie gut die beiden befreundet waren. Durchaus möglich, daß es Biehler noch niemand gesagt hatte. Ich meine, nehmen wir an, du stirbst: Die fünfzehn, zwanzig wichtigsten Menschen aus deinem Leben erfahren sofort davon. Aber der Rest? Der Rest weiß erst mal gar nichts von deinem Schicksal. Dein alter Schulfreund, der jetzt in Kanada lebt? Fehlanzeige. auf eine seltsame, falsche Art bleibst du noch lebendig, bis die Nachricht deines Ablebens auch die entlegensten Ecken der Welt erreicht hat. Erst dann bist du richtig tot.“

Jetzt wollt ihr sicher etwas über die literarische Wertung im Sinne einer Rezension wissen über diesen ersten Roman eines 19jährigen wissen?! Jesper Lier würde sich sagen: „Man, fickt dich doch selber². Und irgendwie möchte ich ihm da recht geben.



Dieser Roman hat ganz klare Strukturen bestehend aus einzelnen klar gegliederten Szenen: Showopener, Ahaeffekt, Handlung, Showdown. So ist jedes Kapitel gegliedert und strukturiert. Das ist amerikanische Bauweise und wird als cratives Schreiben gelehrt. In diesem Roman ist alles drin. Dafür gibt es also eine Eins plus für Wells.

Wenn ich jetzt abschließend bemerke, daß ich große Hoffnungen für Wells hege, wie ich sie für alle jungen Menschen hege, komme ich mir natürlich wirklich wie ein „alter Sack“ vor. Aber ich werde jedes Buch von diesem Mann lesen, was ich kriegen kann.



Benedict Wells
Spinner
Copyright 2009 Diogenes Verlag AG Zürich
Umschlagillustration: Peter Stanick, >3 feet
Foto: Regine Moismann/Diogenes Verlag