Sonntag, 29. Juli 2012

Michael Frayn: Willkommen auf Skios

Die Komödie ist ein schwieriges Fach. Eine Verwechselungskomödie das Schwierigste. Ein Autor, der sich heutzutage darauf einläßt und glaubt damit Erfolg zu haben, ist entweder größenwahnsinnig mutig, oder verrückt und wird daran in den meisten Fällen scheitern, oder aber, er ist Michael Frayn! Und Michael Frayn hat mit Willkommen auf Skios einen rasanten, unterhaltsamen „irrwitzigen Slapstickroman“ geschrieben, der komödiantisch und klug ist. Absolut meisterlich! Die erfolgreiche Komödie birgt ein Geheimnis, und wie es scheint, kennt Miachel Frayn dieses Geheimnis.

Der Roman beginnt mit den üblichen und abgedroschenen Klischees: Ein wunderschöner Ort, Verwechselungen am Flughafen, der übliche seriöse und langweilige Wissenschaftler, ein charmanter Hochstapler und spätestens hier, werden einige versucht sein, vor allem die, die Michael Frayn nicht als einen der „klügsten britischen Schriftsteller“ kennen, wie ihn Franz Schirrmacher von der FAZ nannte, daß Buch wieder in die Verkaufsauslage der Buchhandlung zurück zu legen. Das wäre vielleicht ein Fehler, denn es entgeht ihnen damit ein Schriftsteller, der „von allen komischen Schriftstellern unserer Zeit der philosophischste und zugleich der komischste von allen philosophischen Schriftstellern“ ist, wie Michael Ardittl von Daily Mail schrieb.

Skios erfüllt alle Erwartungen, die man an eine wunderschöne griechische Insel hat, auf der sich eine angesehene internationale Stiftung ein exklusives Refugium geschaffen hat, hier Hof hält für die Reichsten und Klügsten der Welt, die zu verbessern sich die Stiftung verschrieben hat. Vor diesem Hintergrund entfalten sich die Protagonisten. Und was für welche! Köche, Taxifahrer, Oligarchen mit ihren Frauen, Nikkie die persönliche Assistentin der Chefin vons Ganze, ihre Freundin, und, und, und..... und Oliver Fox!

„Du bist Oliver Fox“, hatte sie gesagt.
Das konnte er ehrlicherweise nicht leugnen. Das war das Problem. Er war Oliver Fox. In den Kreisen, in denen er verkehrte, hatten alle von ihm gehört, noch bevor sie ihn kennenlernten. Freunde von Freunden – manchmal sogar vollkommen Fremde – begannen zu lachen, kaum wurden sie ihm vorgestellt, und warteten darauf, daß er vor ihnen den Oliver Fox gab. Er hatte wuscheliges blondes Haar und sanfte freundliche Augen, die in ihre blickten, und niemand wußte, was er als nächstes tun würde. Am allerwenigstens er selbst. Bis er plötzlich feststellte, dass ihm etwas in den Sinn gekommen war, und da tat er es auch schon. Woraufhin sie wieder lachten. Oder schrieen und sich in Sicherheit brachten oder die Polizei riefen.“ (Zitat: Seite 33)

Alles funktioniert, ist schlüssig, nachvollziehbar, egal wie bekannt oder abgedroschen die Klischees vermeidlich klingen, und es kommt einem vor, als lese man so etwas zum ersten Mal. Es wird zu einem rauschenden Leseerlebnis.

Ich erwähnte am Anfang das Geheimnis der Komödie. Wußten sie, daß griechisch-orthodoxe Bischöfe feuersichere Gewänder tragen? Wegen der benutzten Kerzen in der orthodoxen Liturgie? Nein. Ich auch nicht und ich erwähne das nur am Rande, weil es in diesem Roman vorkommt, wie noch so manche Überraschungen. Vor allem das Ende. Es kommt garantiert anders als sie erwarten! Was das Geheimnis der Komödie angeht, hier noch ein Zitat, diesmal von Dr. Norman Wilfried, auf Seite 140:

„Aber auch Dichter sind nicht irrational. Nicht, daß ich viel über Dichter wüßte, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß sie denselben Gesetzen der Kausalität wie alle anderen auch unterliegen. Sie finden Worte für Lücken im Markt, sonst machen sie kein Geschäft, wie alle anderen auch.“

Das drückt natürlich nicht das Geheimnis der gelungenen Komödie aus. Das Geheimnis ist die Liebe zum Menschen. Mit dieser allgemeinen Liebe im Herzen und im Geiste hat Michael Frayn diesen Roman geschrieben.

Was allerdings englischer Humor sein soll, wie es auf dem Cover heißt, weis ich persönlich immer noch nicht.



Michael Frayn: Willkommen auf Skios
Roman
Aus dem Englischen von Anette Grube

© Miachael Frayn 2012
Alle Rechte der deutschen Ausgabe
© Carl Hanser Verlag München 2012
Schutzumschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München
Motiv © Katie Edwards / Getty Images





Samstag, 28. Juli 2012

Martin Suter: Allmen und der rosa Diamant

Okay, seit gut einem Jahrzehnt ist Martin Suter ein Vorzeigeautor, ein Salonschriftsteller würde ich sagen. Eine ganz bestimmt Schicht von Lesern ergötzt sich an seinen Romanen und offensichtlich sind es auch die Typen, die Suter so beschreibt. Schublade anspruchsvolle Unterhaltung? Nichts gegen gute Unterhaltung! Die Frage ist nur, wie lang unterhält eine Masche? Müßte sich der Stil eines Autors nicht auch irgendwann mal anpassen und verändern?

Offensichtlich kreiert Suter nun einen Privatdetektiv: Johann Friedrich von Allmen! Den ersten Roman über diesen Privatdetektiv, Allmen und die Libellen, habe ich nicht gelesen. Mag sein das ich jetzt ein paar Kleinigkeiten nicht weiß. Allmen hat einen Butler, oder so was wie einen Butler, denn eigentlich hat er kein Geld mehr. Der Butler sieht aus wie ein Maya. Wenn der was sagt auf spanisch, gibt es Gottseidank immer gleich die deutsche Übersetzung dazugeliefert. Ansonsten lebt Allmen noch immer so, als habe er Geld.

Die erste Hälfte in Suters Romanen ist immer etwas zäh gehalten und breit getreten. Wie immer bereitet er so ein ziemlich großes Feld, auf dem sich Handlung,Stimmungen und Protagonisten entwickeln können. Meistens sind die Personen was besseres oder was besonderes, die Wohnungen wenigstens exklusive Altbauetagenwohnungen, wenn einem die Villa schon nicht mehr gehört und man sie an eine Bank vermieten mußte, wie im Der letzte Weynfeld. Irgend jemand hat immer maßgeschneiderte Garderobe. Man kennt Orte, die seit hundert Jahren angesagte Orte für ein ganz bestimmtes Klientel ist. Allerdings bezweifle ich, daß das Raffles in Singerpur von heute noch mit dem von vor dreißig oder vierzig Jahren zu vergleichen ist. Was man heutzutage für Glamour hält, ist in der Regel nur noch ein schwacher Abglanz früher Zeiten. Etwas verwundert war ich auch darüber, daß man immer noch Dom Perignon erwähnt, um Eindruck zu schinden, selbst in irgendwelchen merkwürdigen Animierbars. So recht gab es also für mich eigentlich nicht neues zu entdecken in diesem Roman und an diesem Privatdetektiv, der so geleckt daherkommt. So geleckt wie dieser Roman. Und Menübeschreibung sind auch nichts neues mehr, sondern langweilen; mich zumindest.

Typisch für Suter in seinen bisherigen Romanen ist allerdings, nachdem die Kenntnisse über das Leben der Schönen und Reichen vertieft und ausgebreitet wurden, daß nach der ersten Hälfte und spätestens im letzten Drittel, an Tempo zuzulegen wird, und das wird dann durchaus auch mal spannend, überraschend und auch leicht dramatisch. So auch in diesem Roman.

Die Chance auf Originalität hat sich Suter leider entgehen lassen. Ich habe noch nie von einem schwulen Detektiv gehört. Das wäre es gewesen! Als sich herausstellte, daß der offensichtliche Täter schwul war und Allmen anbaggerte, erklärte der rigoros, absolut Hetero zu sein. Schade eigentlich. Obwohl man natürlich auch sagen muß, daß das schwule Moment in der Unterhaltungsliteratur inzwischen auch schon ziemlich ausgelutscht ist.

Unverschämt fand ich den Preis: Fast zwanzig Euro für die gebundene Ausgabe in Deutschland, für 218 Seiten! 218 Seiten die, hätte man die Großschrift für alte Leute und Schickimickitypen mit Lesebrille, ich schätze mal Suters Fans brauchen inzwischen Lesebrillen, zu Gunsten einer normalen Schrift weggelassen, vielleicht nur noch 132 Seiten ausgemacht hätten. Aber die meisten Suter Fans interessiert der Preis wohl nicht. Alles in Allem: eine nette Luxus Unterhaltungslektüre in meinen Augen. Erwähnen muß ich aber noch die überschwenglichen und in Masse auf dem fürchterlichen Covereinband aufgeführten Kritiken, auch wenn ich die nicht verstehen kann. Es gibt also durchaus viele Leute, die mehr in Suter sehen als ich. Und Suter macht ja eben auch das Eindruck, wo man gerne Dom Perignon trinkt, oder gerne trinken würde




Martin Suter: Allem und der rosa Diamant
(c) Diogenes Verlag AG Zürich

Montag, 23. Juli 2012

Senta Berger: Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann

Tja, also, irgendwie traue ich mich zu sagen, was ich wirklich denke, nachdem ich diese Erinnerungen gelesen habe. Ich bin natürlich kein Experte was Biographien angeht, so viele lese ich auch nicht, ein paar schon und die waren sehr interessant. Die von Agatha Christie habe ich gelesen, von Marlene Dietrich, Pablo Neruda, die Tagebücher von Katharina der Großen, zuletzt die Biographie von Vadim Glowna. Ja, es kann durchaus interessant sein, die Biographie eines berühmten Menschen zu lesen.

Senta Bergers Biographie, die gebundene Ausgabe aus dem Kiepenheuer & Witsch Verlag hat einen wunderbaren, schönen roten festen Einband. Die Oberfläche ist längs geriffelt und liegt gut in der Hand. Eingeprägt im unteren Teil des Buchrückens die Initialen KiWI. Das sieht sehr, sehr gut aus. Die Rückenprägung vermittelt den Eindruck eines Passepartout, der Ausschnitt ist schmal in der Mitte des Buchrückens und in einer langen Zeile mit schwarzer feiner Schrift steht: Senta Berger Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann. Sehr edel das Ganze und doch auch irgendwie dynamisch; halt außergewöhnlich. Kritiker könnten vielleicht anmerken, es fehle das Lesebändchen. Aber ich bitte diese zu bedenken, wahre Schönheit ist nie vollkommen und spielt um den Makel.

Ich erwähnte die schwarze Schrift in dem Passepartoutausschnitt auf dem Buchrücken und bin mir sicher, es handelt sich dabei um Caslon Buch regular, wie auch der gesamte Text in dieser Schrift gesetzt ist. Das Papier, natürlich nicht rein weiß, elegantes helles chamois, was die Schwärze der Lettern wunderbar betont und zur Geltung bringt. Die beiden Fototeile sind auch wunderbar gelungen, diese im Gegensatz auf rein weißem Hochglanzpapier.

Alles in allem eine überaus gelungen Arbeit, bezogen natürlich auf die 1. Auflage 2006 beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln. Ebenso lobend seien für die Umschlaggestaltung: Linn-Design, Köln, Umschlagmotiv: © T&T/Sigi Hengstenberg genannt, die Satz und Retroarbeit lieferte graphik & sound, Köln und den Druck führte die Druckerei C.H.Beck, Nördlingen aus und die Bindung übernahm: G. Lachenmaier, Reutlingen.

Inhalt? Ah, der Inhalt also? Nun, armes Kriegskind wird Filmstar und das, ohne sich hoch zu bumsen. Nicht, das es nicht versucht worden wäre, nein. Versucht hat es wohl jeder mal. Aber so was geht mit unserer Senta nicht!!! Alles andere dürfte ja den meisten bekannt sein. Vielleicht noch, es handelt sich nur um die ersten vierzig Jahre. Warten sie also auf die Fortsetzung.


Senta Berger: Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann
Erinnerungen

© 2006 Kiepenheuer & Witsch, Köln
Umschlaggestaltung: Linn-Design, Köln
Umschlagmotiv: © T&T/Sigi Hengstenberg



Samstag, 21. Juli 2012

Boris Saidman: Hemingway und die toten Vögel

Das bei weitem merkwürdigste Lesevergnügen der letzten Monate, bereitete mir der Debütroman des israelischen Schriftstellers Boris Saidman. Ich war hin- und her gerissen, angezogen und abgestoßen. Eigentlich hat er sich an nichts gehalten, was die Form eines Romans ausmacht. Zuweilen las es sich wie einzelne Kurzgeschichten. So recht wußte ich nicht immer wo und wann ich gerade war. Oh, daß war nicht schlimm: Wer die Form beherrscht, darf sie brechen. Saidmann hat den Roman 2006 veröffentlich und 2008 kam die deutsche Übersetzung im Berlin Verlag heraus.

Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, als Jude aufgewachsen in der glorreichen UdSSR, aus der er dann mit seinen Eltern ins gelobte Land auswanderte. Als erwachsener Mann kehrt er zurück in das Land seiner Kindheit und was da dann abgeht, ist verwirrend, komisch, meisterhaft erzählt, traumhaft und zuweilen auch albtraumhaft. Mal erzählt aus der Sicht des Kindes, des heranwachsenden, des Mannes. Mal seine Begegnungen und Gedanken zum Großvater, mal über seine Eltern, seine Freunde.

Zitat, Seite 135, © Berlin Verlag:
„Seine Erinnerung kreiste wie ein Falke hoch über den rosa gefärbten Tolik-Jahren. Er versuchte, noch andere Makel seiner Kindheit zu erkennen. Vergeblich. Und damit erreichte der Falke sein Ziel, beendete seine ruhigen Kreise und stieß nach untern, zur Erde, durchstieß zwanzig Jahre auf seinem Weg zum Jetzt.“

Ich habe in den letzten Monaten einige neuere israelische Autoren gelesen, weil ich wissen wollte, welches Lebensgefühl, welche Gedanken sie heute haben. Es gibt wohl zwei schreibende Generationen: Die Kinder der Holocaustopfer und die Generation, die Israel aufgebaut hat. Entsprechend thematisch gelagert sind ihre Werke. Saidman gehört zur Generation derer, die in ein „verheißenes“ Land kamen.

Zitat, Seite 64, © Berlin Verlag
„Diese verdammten Juden,“ würde er sagen und nach den Wörten suchen, die Wörter würden aus ihm strömen, an jeder menschlichen Barriere zerschellen, „diese verdammten Juden, die Hitler nicht geschafft hat umzubringen, sollen sie doch nach Palästina gehen, dort werden die Araber das Werk schon vollenden, und Mütterchen Rußland wird ihnen dabei helfen!“
Und der Vater? Er würde ihm antworten, er schere sich einen „ihr wißt schon was“ um ihn und sein Mütterchen Rußland.“

Wikipedia sagt, es ist Saidmans erster und einziger Roman bis jetzt. Beeindruckend und merk-würdig im wahrsten Sinne. Ich werde es bald wieder lesen.


Boris Saidman: Hemingway und die toten Vögel
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler

© 2006 Boris Saidman
© 2008 Berlin Verlag, GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Nina Rothfos und Patrick Gabler, Hamburg
unter Verwendung einer Fotografie von © Trevillion

Donnerstag, 19. Juli 2012

Francis Scott Fitzgerald: Der große Gatsby

Alt ist er ja nicht gerade geworden. Weder Jay Gatsby, der Held in diesem Roman, noch Francis Scott Fitzgerald der Autor, der 1896 irgendwo in Minnesota geboren wurde und der 1940, also mit 44 Jahren, in Hollywood starb. Dieser Roman erschien 1925. Ich weiß nicht woher ich es habe, aber es hieß, Bratt Pitt arbeite an einer Neuverfilmung dieses Romans. Meine Bilder im Kopf sind natürlich noch geprägt von der Verfilmung mit Robert Redford, auch wenn diese nur schwach sind. Irgendwie war ich jedenfalls auf diesen Roman gespannt und wie der Verlag verkündet, lieferte Reinhard Kaiser nun eine glanzvolle neue Übersetzung dieses, mit zu den größten und meistgelesenen Klassikern der amerikanischen Literatur zählenden Werkes.

Das Lesen hat sich für mich gelohnt. Von Anfang an fesselte mich der gediegene und solide, ruhige Erzählfluß, die detaillierten Beschreibungen der Orte und der Personen, der Stimmungen. Nichts schwülstiges, nichts aufgesetztes und der Icherzähler mit so manchem entlarvenden Gedankengang angesichts von aufgesetzter Eleganz und Prunk und all zu menschlicher Scheinheiligkeit bewegt sich scheinbar unberührt von der Dramatik und Tragik, wird zu einem mitfühlenden Begleiter. Man ist mittendrin.

Zitat:
„Ich bin Gatsby“, sagte er plötzlich.
„Sie!“, rief ich. „O, verzeihen Sie bitte.“
„Ich dachte, Sie wüßten Bescheid, alter Junge. Ich fürchte, ich bin keine besonders guter Gastgeber.“
Er lächelte verständnisvoll – und mehr, viel mehr als das. Sein Lächeln hatte etwas, das einen auf ewig zu beruhigen vermochte, ein Lächeln, wie man ihm vielleicht vier- oder fünfmal im Leben begegnet. Für kurze Zeit richtete es sich an die ganze Welt oder schien sich an sie zu richten, und dann konzentrierte es sich mit unwiderstehlicher Voreingenommenheit ganz auf einen selbst. Es verstand einen genau bis zu dem Punkt, bis zu dem man verstanden werden wollte, es glaubte einem, wie man sich selbst gerne geglaubt hätte, und versicherte einem, daß es genau den Eindruck von einem hatte, den man im allerbesten Falle zu vermitteln hoffen konnte. Genau an diesem Punkt erlosch es dann – und ich sah vor mir ein elegantes, junges Raubein, ein oder zwei Jahre über dreißig, dessen gestelzte, förmliche Ausdrucksweise ans Lächerliche grenzte. Schon bevor er sich vorgestellt hatte, war mir aufgefallen, wie sorgsam es seine Worte wählte.“

Und wie mir scheint, wählte Francis Scott Fitzgerald seine Worte in diesem Roman, der eine dramatische und tragische Liebesgeschichte ist, genauso sorgsam! Ein Genuß! Und das machte das Lesen mir zum reinsten Vergnügen.



Francis Scott Fitzgerald: Der große Gatsby

Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
© 2011 Insel Verlag Berlin

Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner
Umschlagfoto: Axel Kranz


Montag, 16. Juli 2012

Jean Echenoz: Ravel

Vor vier Jahren habe ich diesen kurzen Roman das erste mal gelesen. Jetzt lachte er mich aus dem Bücherregal wieder an und ich begann ihn noch mal mit dem größten Vergnügen zu lesen.

Ravel ist gerade auf dem Weg mit der France nach Amerika zu einer Konzertreise. Er ist 53 Jahre alt und ein alter, egozentrischer Zausel, eitel, arrogant und gelangweilt. Ein Sonderling heißt es auf dem Klappentext. Sonderling ist noch eine harmlose Untertreibung, folgt man Echenoz Darstellungen. Auf dieser Konzertreise durch die USA lernt man ihn so richtig kennen, mit all seinen Launen und Allüren, die er zweifelsohne gehabt haben wird. Ich kann wohl davon ausgehen, daß dieser Roman gut recherchiert ist.

„Während der Proben beeindruckt er die Musiker enorm, indem er täglich andere, farblich zueinander passende Hemden und Hosenträger wählt: einmal rosa, einmal blau. Alles läuft immer noch ganz ausgezeichnet, zumindest hat er diesen Eindruck, obgleich er sich nicht fragt, ob die Aufnahme, die man ihm bereitet, nicht eher das Spiegelbild des Triumphgefühles ist, das ihn seit vier Monaten erfüllt. Es ist ein solches Gefühl, daß es ihn ein bißchen übermütig macht, er wird immer nachlässiger in seiner ohnedies schon flüchtigen Art, das Klavier zu traktieren. Er denkt, das bemerke man nicht, außerdem denkt er nicht darüber nach. Aber man bemerkt es. Er weiß das nicht. Und wenn er es wüßte, es wäre ihm egal.“

Echenoz setzt das alles sprachlich meisterlich in Szene, es kommt Stimmung auf. Nach der Tournee geht es zurück nach Frankreich, auf Land, Ravel komponiert den Bolero, er ist auf dem Gipfel seines Ruhmes und Erfolges in dem er sich noch ein paar Jahre sonnen kann, doch der Leser wird Zeuge seiner letzten Jahre, seiner Schlaflosigkeit und dann seiner Hirnerkrankung bis zu seinem Tod.

Die letzten zehn Jahre Ravels, verdichtet auf 110 Seiten in diesem feinen, kunstvollen Roman.



Jean Echenoz: Ravel
Roman
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
© 2007 Berlin Verlag GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Nina Rothfos und Patrik Gabler, Hamburg unter Verwendung einer Postkarte von Maurice Ravel


Donnerstag, 12. Juli 2012

Ulrike Herwig: Mein Gott, Wanda

Wenn die Hauptfigur Wanda heißt, auch wenn diese 63 Jahre alt ist, liegt die Assoziation zu dem Film Ein Fisch Namens Wanda ganz nah. Bei mir zumindest, 56 Jahre. Da habe ich dann natürlich so meine Erwartungshaltung. Wenn der Verlag Marion von Schröder heißt, ebenso. Es ist also ein Unterhaltungsroman.

Wanda hatte gerade ihren Teeladen verkauft und versuchte sich ihren Ruhestand einzurichten. Der Hund der regelmäßig in ihren Vorgarten scheißt, ärgert sie natürlich, aber dann bekommt sie überraschend eine Einladung zu einer Reise nach Australien. Übrigens sehe ich von Anfang an Senta Berger in der möglichen Filmrolle, schon nach gut fünfzig Seiten ist klar, das sie eine Idealbesetzung für Wanda ist, würde man dieses Buch verfilmen, was nicht abwegig wäre. Australien soll als das große Abenteuer werden. Pustekuchen. Wandas Sohn, die ideale Filmbesetzung wäre der junge Til Schweiger, bricht sich beim Snowboarden ganz fürchterlich das Bein und bittet so seine Mutter nach seinem Fitneßklub in Köln zu sehen. Das bringt die arme Mutter natürlich in eine schwer zu entscheidende Lage, aber wir wissen ja eigentlich wie Mütter, die Liebsten, die Besten, die Weisesten entscheiden.

Nix da Australien: Fitneßclub! Und der muß erst mal geputzt werden. Okay, fürs putzen gibt es Marianne, die hat eine Putzfimmel (Herr Gott, schenk mir eine Marianne für meine Bude). Und Biggi ist auch mit dabei. Die hat übrigens einen Blick für Männer und ein Gespür fürs Leben. Apropos Köln, nein in diesem Fitneßklub gibt es offensichtlich keine schwulen Männer. Aber so was wie Götz George läuft da schon für die Damen rum und ähnliches mehr. Ich glaube, mittlerweile könnt ihr euch ein Bild davon machen was in diesem Film so alles abgeht. Und je weiter ich las, um so mehr lebten die Bilder in meinem Kopf. Das hat Ulrike Herwig gut drauf: Sie erzählt locker flockig leicht, bildhaft und unterhaltsam.

Übrigens heißt der Hund, ein Dackel, Miles.

Ich frage mich, was dieses Buch und ein möglicher Film vielleicht, vor einer Schnulze gerettet hat. Und ich frage mich auch, ob tatsächlich solch eine Wandlung in einem 63jäjrigen Menschen vorgehen kann, wie ihn Ulrike Herwig hier beschreibt. Ich glaube, daß ist die Hoffnung die in uns allen mitschwingt, daß das Leben doch schön ist und schön sein kann, egal wann. Oder sieht Ulrike Herwig das Leben durch eine rosa Brille? Vielleicht. Aber sie hat früher erfolgreich Jugendbücher geschrieben, dies ist ihr zweiter Roman für „Erwachsene“. Und gegen eine Botschaft die Hoffnung macht und ein Buch das unterhält an Sommerregentagen ist ja nichts einzuwenden.


Mein Gott, Wanda
Ulrike Herwig
Marion von Schröder
© 2012 Ullstein Buchverlage GmbH
Umschlaggestaltung: Zero Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: Masterfile/Ikon Images


Montag, 9. Juli 2012

Uzodinma Iweala: Du sollst Bestie sein!

Um dieses Buch zu lesen bin ich heute extra um vier Uhr am Morgen aufgestanden. Wenn man den Klappentext liest, ist ganz klar, daß es kein Buch zum einschlafen sein würde. Es dauerte auch eine Woche, bis ich mich überhaupt entschließen konnte es zu lesen. Sollte ich mir tatsächlich einen Roman um einen Kindersoldaten antun? Wahrscheinlich ist die Welt grausamer als es je ein Roman sein könnte. Und ich bin Teil dieser Welt und somit auch schuldig. Bertold Brecht hat eine seiner Figuren sagen lassen: „Ich bin arm, weil Du reich bist!“ Was wird mir dieser Uzodinma Iweala mit seinem Agu in seinem Roman sagen?

Ich mag diesen Agu inzwischen, auch wenn ich noch nicht weiß wie viele Kinder, Frauen und Männer er mit seiner Machete zerstückelt hat. Agus Mutter sagte ihm immer, er solle Gott fürchten und am Sonntag in die Kirche gehen, aber jetzt weiß er nicht einmal mehr, wann Sonntag ist. Ihm gefällt, wie Gewehr schießt und Machete hackt. Ihm gefällt, wie Leute vor ihm wegrennen und „schrein“, wenn er sie killt und bluten läßt. Killen gefällt ihm.

Agu wurde in seinem Dorf von den Rebellen gejagt und eingefangen und denkt scheinbar seine letzten Gedanken: „Alle Blätter sind naß vom Regen und glitzern wie Diamant oder Glas. Das Gras neben der Straße ist hoch und so grün, ich kenn das gar nicht so. Ich will jubeln, tanzen singen, weil kai! ruf ich, endlich bin ich tot. Ich denk, hey, vielleicht ist der Junge da nur Geist, und ich muß ihm noch danke sagen, weil er hat mich ins Geisterland gebracht, aber bevor ich mein Mund aufmach und was sagen kann, läßt der mich auf dem Rücken im Schlamm liegen.“ Und dann nimmt Kommandant seine Hand, zieht ihn aus dem Schlamm auf seine Füße. „Willst du Soldat werden? fragt er sanft. Weißt du was das heißt?“

Auf dem Klappentext wird Bartholomäus Grill, von der ZEIT, treffend zitiert: „Wer dieses Buch zuklappt, muß kein anderes mehr zum Thema lesen. All die Versuche von ehemaligen Kindersoldaten, ihren Leidensweg authentisch zu schildern, verblassen neben diesem grandiosen und furchterregenden Roman.“

Uzodinma Iweala lebt in Washington D.C. und Lagos, Nigeria.


Du sollst Bestie sein!
Uzodinma Iweala
2008 Ammann Verlag & Co, Zürich

Umschlaggestaltung: Beate Becker
Illustration: © Thenjiwe Niki Nkosi