Anfang der 1990er
Jahre kamen die Japaner als die große literarische Entdeckung auf den Buchmarkt.
Warum ich damals, diesen Roman nicht gelesen habe, weiß ich gar nicht so
genau. Und als dann die
Hollywoodverfilmung (oder war es eine englische Filmproduktion?) gezeigt wurde,
da wußte ich schon nicht mehr, daß tatsächlich ein Japaner diesen damaligen
Bestseller geschrieben hat. Jetzt im September brachte btb in seiner süßen besonderen
Taschenbuchreihe eine Sonderausgabe heraus.
Es verwunderte
mich zunächst schon ein kleines bißchen, daß ausgerechnet ein Japaner die
Geschichte eines Butlers aus der ersten Hälfte des vergangen Jahrhunderts
geschrieben hat. Kazuo Ishiguro läßt Stevens, Butler auf Darling Hall, im
Rückblick als Icherzähler, über seine Jahre auf diesem englischen Schloß
nachdenken und Stevens tut das in einer Sprache, wie sie gewählter und feiner
wohl nicht sein könnte, was zum größten Teil den besonderen Reiz und Erfolg
dieses Buches ausmacht. Und dieser
Erzählstil umschmeichelt einen dermaßen, daß man beim Lesen jeden Augenblick
damit rechnet, daß Stevens hereinkommt um den Tee zu servieren. Das Stevens dabei
ein emotionaler Krüppel, durch und durch eine Art devotes unterwürfiges Faktotum seiner ebenso degenerierten
Herrschaft zu sein scheint, kann man bei den von Stevens so geäußerten und erzählten
Erinnerungen leicht vergessen. Das Empire, vor dem Ersten Weltkrieg noch eine
Weltmacht, liegt in seinen letzten Zügen und nur noch reiche Amerikaner können
sich nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren solche Anwesen wie
Darling Hall mit Butler leisten.
Stevens zelebriert
unbeirrt englischen Lebensstil, genauso wie seine Herrschaft und die
entsprechenden Gäste. Aber vielleicht
mußte es eben doch jemand von Außen sein, der diese damaligen Zustände so
eindrucksvoll schildern konnte, und wer wäre besser dazu geeignet, als ein
Japaner? Das soll nicht heißen, daß alle Japaner devot sind, sondern eben traditionell.
Und dieses traditionelle Element ist
der zweite Grund für den Erfolg dieses Romans und auch des Films. Übrigens
erschien es mir jetzt beim Lesen so, daß die literarische Vorlage nahezu eins zu
eins übernommen wurde und nur zwei oder drei kleinere Anekdoten enthält, die im
Film nicht gezeigt wurden.
Es gibt noch einen
Bereich, der bis zu einem gewissen Grad auch zum Erfolg dieses Romans geführt
haben dürfte und den bezeichne ich als seine innere Qualität, die sich nicht
bei oberflächlicher Betrachtung einstellt und das ist der, von dem ich annehme
und hoffe, daß Ishiguro das auch so gemeint hat, denn es gibt Stellen, da hatte
ich das Gefühl: So blöd kann doch kein Butler sein und in diesen Stellen wird
es auf subtile Weise zuweilen tragisch. Und das es dem Autor so ganz Ernst nicht gewesen sein kann,
belegen für mich auch die letzten gedanklichen Betrachtungen Stevens, die er zum Abschluß, im vorletzten Absatz,
nach seiner Reise durch die englische Landschaft und seine Erinnerungen hoffnungsvoll
anstellt:
„Es ist möglich,
daß diese Personen hier einander einfach verbunden sind in der Freude auf den
bevorstehenden Abend. Aber andererseits hat es, bilde ich mir ein, vermutlich
mehr mit jener Fertigkeit des Scherzens zu tun. Während ich ihnen jetzt
lausche, höre ich sie ei9ne scherzhafte Bemerkung nach der anderen wechseln.
Auf diese Art, so möchte ich annehmen, gehen viele Menschen gerne vor. Es ist
sogar möglich, daß mein Bankgefährte von vorhin erwartete, daß wir miteinander
scherzen würden – in welchem Falle ich für ihn vermutlich eine große
Enttäuschung war. Vielleicht wird es in der Tat Zeit, daß ich das ganze Problem
des scherzhaften Tons mit größerem Nachdruck angehe. Schließlich ist es, wenn
man es sich überlegt, gar keine so törichte Beschäftigung – zumal wenn es
zutrifft, daß im scherzhaften Ton der Schlüssel zur menschlichen Wärme liegt.“
(Zitat Seite 405, vorletzte Seite.)
Kazuo Ishiguro:
Was vom Tage übrigblieb
Aus dem Englischen
von Hermann Stiehl
Einmalige Sonderausgabe
September 2012
btb Verlag in der
Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Die Originalausgabe
erschien 1989
© der
deutschsprachigen Ausgabe 2005 by
btb Verlag in der
Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung:
semper smile, München
Umschlagmotiv: JHB
Studio / Graphistock / Corbis