Das
interessanteste an diesem Buch ist für mich das einleitende Essay von Steven
Marcus. In diesem Essay untersucht und betrachtet Marcus den Text „My Secret Life“
der aus über 4.000 Seiten bestehenden Fassung, die hier in einer Auswahl von
320 Seiten pornographischen Textes vorgelegt sind. Walter ist das gewählte
Pseudonym des bis heute unbekannten Verfassers, auch wenn es einige
Spekulationen über den Verfasser gibt.
Das Essay von Steven Marcus ist aus dem Jahre 1979 und dem bei Suhrkamp
erschienen Buch: „Umkehrung der Moral. Sexualität und Pornographie im
viktorianischen England“ entnommen und wurde dieser mir vorliegenden broschierten Sonderausgabe mit Texten von Walter,
die 1997 bei Eichborn erschienen ist, ©
Vito von Eichborn GmbH & Co. Verlag KG, vorangestellt.
„My Secret Life“
entstand über vierzig Jahre hinweg im
viktorianischen England, in dem dieser Unbekannte seine sexuellen Erfahrungen
und Erlebnisse beschreibt, die er dann 1888 in angeblich sechs Exemplaren
drucken ließ. Der Verleger hat dann
still und leise ein paar mehr gedruckt, und die Vermutungen reichen bis zu 25
Exemplaren. Dieser Verfasser hat also
so gut wie nichts anderes getan, als vierzig Jahre lang rumzuhuren, und rühmt
sich selbst, keine Perversion ausgelassen zu haben und darüber zu schreiben.
Das darüber Schreiben wurde ihm, wie Marcus darstellt, Teil seiner Obsession
und Befriedigung.
Die Aspekte und
die Bedeutung die Steven Marcus diesem „Werk“ beimißt, ist aber eine ganz
andere: Die Informationen über den Zustand und die Zeit dieser viktorianischen
Gesellschaft und die soziologische Bedeutung dieses Werkes. Dabei stellt Steven Marcus eine interessante
These auf: Er geht davon aus, das alle damaligen berühmten Autoren und der Großteil
der Literatur dieser Epoche, zum einen von diesen Zuständen und Verhältnissen
gewußt haben und zum andern beeinflußt wurde! So stellt Steven Marcus Textstellen
der Weltliteratur den pornographischen Schilderungen Walters gegenüber, die zur
gleichen Zeit in England entstanden sind und schlägt den Bogen sogar bis in die
beginnende Moderne der Literatur wie von James Joyce.
„Man kann
gegenüber einigen Einzelheiten dieser Episode durchaus skeptisch sein. Ich muß
zugeben, daß auch ich einige Vorbehalte hatte, bis ich auf eine Passage bei
Dickens stieß, welche die Beschreibungen in My Secret Life bestätigt.“ (Zitat
Seite 79)
Diese Buch hier
besteht also aus zwei Teilen: Dem Essay von Steven Marcus mit 119 Seiten und
dann der Auswahl von 320 Seiten aus Walters „My Secret Life“
Der zweite Teil
nun schildert Walters sexuelle Erlebnisse aus seiner Kindheit, seiner Jugend
und seinem Alter. Ich bin mir jetzt nicht mehr sicher ob er es mit 1.000 Frauen
oder 1.600 Frauen getrieben hat, und ehrlich gesagt habe ich keine Lust, das
jetzt zu recherchieren. Ist vielleicht auch nicht so wichtig. Das
pornographische Literatur auf Dauer keine Befriedigung bringt, hat Steven
Marcus auch in seinem vorangestellten Essay erläutert, und dem kann ich, nachdem
ich mir diese 320 Seite Pornographie reingezogen habe, nur beipflichten. Walter war besessen von Mösen und pissenden
Frauen und das alles lesen zu müssen, hat mich nicht gerade angemacht und wurde
dann doch ziemlich langweilig. Das fing schon in seiner Kindheit und Jugend an,
und auf den ersten 100 Seiten dieser Auswahl berichtet er hauptsächlich davon,
bis er dann irgendwann seinen ersten Koitus mit einem Dienstmädchen hatte. Interessant sind tatsächlich eben die
Stellen, wenn er über die berichtet, mit denen er es getrieben hat in vierzig
oder fünfzig Jahren (die genaue Zeit seiner Promiskuität habe ich auch
vergessen und es ist ja auch egal ob er sich vierzig oder fünfzig Jahre
vergnügt hat).
Wertvoll und
bedeutend ist dieses Werk eben durch seine nachgewiesene Authentizität und
Offenheit hinsichtlich der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse sowie
der möglichen Rückschlüssen und Deutungen, die sich auf die weitere zeitgleiche
und folgende Literatur ergibt. Und man
erfährt, was berühmte Autoren wußten, andeuteten und verschlüsselten und sich
teilweise eben nicht zu schreiben trauten.
Walter:
Viktorianische Ausschweifungen
Übersetzt von
Reinhard Kaiser
Mit einem Essay
von Steven Marcus
Broschierte
Sonderausgabe
© 1997 Vito von
Eichborn GmbH & Co. Verlag KG, Frankfurt am Main
Essay von Steven
Marcus aus
„Umkehrung der
Moral. Sexualität und Pornographie im viktorianischen England“.
© 1979 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main