Samstag, 13. Juli 2013

Nicolas Michel: Emilies letzte Reise


Es überrascht mich immer wieder, welch außergewöhnliche und verblüffende Geschichten eine ganz bestimmte Generation von Autoren und Autorinnen erzählen. Das sind die Jahrgänge ab 1970. Sie erzählen diese Geschichten mit einer spielerischen Lässigkeit, unbekümmerter Respektlosigkeit und zuweilen auch mit schöner Meisterschaft im Schreiben.  Und als Leser staune ich dann nur noch und verwundere mich darüber,  daß es offensichtlich noch sehr viele Geschichten gibt, die so noch nicht erzählt wurden.

Nicolas Michel hat seinem Roman ein Zitat von Carlos Fuentes vorangestellt: „Jedenfalls öffnete sich hinter ihr der Rachen eines gefräßigen Ungeheuers mit langen Zähnen, das in Wahrheit ein Zirkuseingang war. Diesem aufgerissenen Maul entflogen Fledermäuse und Teufel, arme Seelen, Sukkuben und Inkuben:[...]“ (Diana oder die einsame Jägerin). Okay, Carlos Fuentes zu kennen, ist schon mal eine kleine Empfehlung für einen jungen Autor.

Die Geschichte aber beginnt mit Makrelen, einem ganzen Schwarm sogar, irgendwo um Korsika herum.  Und sie haben Hunger.  Den stillen sie an einer weiblichen Leiche. Diese Leiche ist die Heldin in dieser Fabel und es ist unglaublich, welchen Weg Emilie treibt, welche Begegnungen sie hat.  Es scheint fast so, die Leiche macht mehr Bekanntschaften, als manch lebender Mensch. Und jede neue Bekanntschaft ist wieder eine neue, interessante außergewöhnliche Geschichte und das Verbindende ist, daß der Leser so etwas über Emilie, ihr Leben und Schicksal erfährt.

Ich habe Eingangs etwas über junge Autoren und Autorinnen einer bestimmten Generation erwähnt und deren Schreiben wohnt etwas inne, da frage ich mich dann schon, ob das sein muß.

Jules, ein junger Mann, geht Morgens regelmäßig an den Stand um zu Angeln und holt sich dann erst mal einen runter.  An dem Morgen, als er Emilie begegnet hat er es ausnahmsweise nicht getan. Völlig unbeeindruckt befreit er Emilies Hand, zwischen zwei Felsen eingeklemmt,  und sieht dann zu, wie die wunderschöne Leiche wieder ins Meer treibt. Dann raucht er erst mal eine Zigarette als wäre es das normalste auf der Welt am Stand eine Leiche zu finden und beobachtet eine junge Frau, die er schon oft Morgens hier gesehen hatte, die in den Sand des Standes pinkelt  damit es Jules auch sehen kann. Ja, die beiden treiben es dann auch miteinander, während Emilie, die Leiche, schon ganz woanders hingetrieben und außer Sicht ist.  

Was ich damit sagen will ist: Man findet  solche Stellen in dieser Generation von Schreiberlingen und Schreiberlingen oft.  Aber so wichtig ist das Pissen und Wichsen nicht in diesen Texten; es sind wohl eher Randbemerkungen die ein wenig den Zeitgeist dokumentieren sollen. 

Turbulent geht Emilies Treiben weiter,  Emilies Begegnungen als Leiche sind abenteuerlich, spannend, außergewöhnlich, ein buntes „Zirkustreiben“ wird es an Figuren und Schicksalen, man erfährt das WIE und auch das WIESO, aber alles ganz anders, als man es erwartet, es ist eine Rückblende,  ja und dann...... ja, so spielt das Leben.

Erwartet hier keine weitere Angabe des Inhaltes von mir und versucht nicht noch mehr über den Inhalt dieses kleinen Büchleins mit nur 159 Seiten zu erfahren. Ihr brächtet euch vielleicht um ein spannendes Leseerlebnis.


Ich muß mal googeln, was es von Nicolas Michel sonst noch zu lesen gibt.



Nicolas Michel: Emilies letzte Reise

Aus dem Französischen von Renate Nentwig
© 2003, Klett-Cotta, Stuttgart
Schutzumschlag und Foto: Philippa Walz, Stuttgart