Es überrascht mich immer wieder, welch außergewöhnliche und
verblüffende Geschichten eine ganz bestimmte Generation von Autoren und Autorinnen
erzählen. Das sind die Jahrgänge ab 1970. Sie erzählen diese Geschichten mit
einer spielerischen Lässigkeit, unbekümmerter Respektlosigkeit und zuweilen
auch mit schöner Meisterschaft im Schreiben. Und als Leser staune ich dann nur noch und verwundere mich darüber, daß es offensichtlich noch sehr viele
Geschichten gibt, die so noch nicht erzählt wurden.
Nicolas Michel hat seinem Roman ein Zitat von Carlos Fuentes
vorangestellt: „Jedenfalls öffnete sich hinter ihr der Rachen eines gefräßigen
Ungeheuers mit langen Zähnen, das in Wahrheit ein Zirkuseingang war. Diesem
aufgerissenen Maul entflogen Fledermäuse und Teufel, arme Seelen, Sukkuben und
Inkuben:[...]“ (Diana
oder die einsame Jägerin). Okay, Carlos Fuentes zu kennen, ist schon mal eine
kleine Empfehlung für einen jungen Autor.
Die Geschichte aber beginnt mit Makrelen, einem ganzen
Schwarm sogar, irgendwo um Korsika herum. Und sie haben Hunger. Den
stillen sie an einer weiblichen Leiche. Diese Leiche ist die Heldin in dieser
Fabel und es ist unglaublich, welchen Weg Emilie treibt, welche Begegnungen sie
hat. Es scheint fast so, die Leiche
macht mehr Bekanntschaften, als manch lebender Mensch. Und jede neue
Bekanntschaft ist wieder eine neue, interessante außergewöhnliche Geschichte
und das Verbindende ist, daß der Leser so etwas über Emilie, ihr Leben und
Schicksal erfährt.
Ich habe Eingangs etwas über junge Autoren und Autorinnen
einer bestimmten Generation erwähnt und deren Schreiben wohnt etwas inne, da
frage ich mich dann schon, ob das sein muß.
Jules, ein junger Mann, geht Morgens regelmäßig an den Stand
um zu Angeln und holt sich dann erst mal einen runter. An dem Morgen, als er Emilie begegnet hat er
es ausnahmsweise nicht getan. Völlig unbeeindruckt befreit er Emilies Hand,
zwischen zwei Felsen eingeklemmt, und
sieht dann zu, wie die wunderschöne Leiche wieder ins Meer treibt. Dann raucht
er erst mal eine Zigarette als wäre es das normalste auf der Welt am Stand eine
Leiche zu finden und beobachtet eine junge Frau, die er schon oft Morgens hier
gesehen hatte, die in den Sand des Standes pinkelt damit es Jules auch sehen kann. Ja, die beiden treiben es dann
auch miteinander, während Emilie, die Leiche, schon ganz woanders hingetrieben und
außer Sicht ist.
Was ich damit sagen will ist: Man findet solche Stellen in dieser Generation von
Schreiberlingen und Schreiberlingen oft.
Aber so wichtig ist das Pissen und Wichsen nicht in diesen Texten; es
sind wohl eher Randbemerkungen die ein wenig den Zeitgeist dokumentieren sollen.
Turbulent geht Emilies Treiben weiter, Emilies Begegnungen als Leiche sind abenteuerlich,
spannend, außergewöhnlich, ein buntes „Zirkustreiben“ wird es an Figuren und
Schicksalen, man erfährt das WIE und auch das WIESO, aber alles ganz anders,
als man es erwartet, es ist eine Rückblende, ja und dann...... ja, so spielt das Leben.
Erwartet hier keine weitere Angabe des Inhaltes von mir und
versucht nicht noch mehr über den Inhalt dieses kleinen Büchleins mit nur 159
Seiten zu erfahren. Ihr brächtet euch vielleicht um ein spannendes
Leseerlebnis.
Ich muß mal googeln, was es von Nicolas Michel sonst noch zu
lesen gibt.
Nicolas Michel: Emilies letzte Reise
Aus dem Französischen von Renate Nentwig
© 2003, Klett-Cotta, Stuttgart
Schutzumschlag und Foto: Philippa Walz, Stuttgart