Donnerstag, 15. August 2013

Santiago Roncagliolo: Roter April


Um genau zu wissen,  WO ich in diesem Roman eigentlich bin, mußte ich erst mal meinen fünf Euro teuren Atlas aus dem Netto bemühen.  Aha: Südamerika, Peru, Lima, und irgendein kleines Kaff in diesem Land ist der Ort des Geschehens.

Die zeitliche Orientierung ist ganz leicht: April, wie der Titel schon verrät, wobei die Geschichte am Donnerstag, den 9. März beginnt. und am 3. Mai endet.  Auch das Jahr scheint verbürgt: „Die Richtigkeit dessen beurkundet mit seiner Unterschrift am 3. Mai 2000 Carlos Martin Eléspuru, Beamter des Nationalen Nachrichtendienstes.

Diese beiden Orientierungen erscheinen mir recht wichtig, es sei denn, man kennt sich mit Peru und seiner wohl oftmals blutigen Geschichte aus. Diese Geschichte dieses Landes beleuchtet dieser Roman aber auch noch auf beeindruckende Weise. Der Autor dieses  2008 auf Deutsch erschienen Romans, wurde 1975 in Lima geboren, lebte zum diesem Zeitpunkt  schon einige Jahre in Barcelona und schrieb Drehbücher, Artikel für spanische und peruanische Zeitungen und Romane.

Um diesen oben erwähnten Beamten des Nachrichtendienstes Carlos Martin Elèspuru geht es aber nicht. Wie es sich für einen Beamten des Nachrichtendienstes gehört, bleibt er so gut wie im Hintergrund und spinnt seine Fäden im Auftrag der wirklichen Machthaber dieses Landes. Er taucht einmal in Begleitung eines Generals auf, als die Militärs das Sagen im Lande hatten( oder haben?), und dabei begegnet ihm der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Félix  Chacaltana, der immer Berichte verfaßt, die keiner liest. Und dieser unscheinbare stellvertretende Bezirksstaatsanwalt, zwischen 40 und 50 Jahre alt, ist nun der Held dieser Geschichte.

Chacaltana ist ein merkwürdiger Kerl. Geschieden, lebt alleine, seine Arbeit scheint wenig aufregend zu sein, es gibt einen demokratisch gewählten Präsidenten und die Zeiten des Terrors durch den Leuchtenden Pfad sind offiziell vorbei. Das Auftauchen einer grausam verstümmelten Leiche geschieht aber unter dubiosen Umständen, woraus Chacaltana natürlich feinsäuberliche Berichte verfaßt und während dieser Ermittlungen vollzieht sich offensichtlich ein Wandel in der Persönlichkeit unseres Helden.

Er beschäftigt sich nicht mehr so oft mit seiner toten Mutter, der er ein Zimmer eingerichtet hat und ihr feinordentlich auch das Nachthemd raus legt, verliebt sich in eine Kellnerin, die aber nicht nur Kellnerin ist,  er scheint Ehrgeiz zu entwickeln und seine Vorgesetzten fangen an, nicht nur seine Berichte zu lesen, sondern er erhält sogar uneingeschränkten Zugang zu ihnen. Ja, so langsam scheint Chacaltana Eier zu bekommen und wird fast ein richtiger Draufgänger. Unversehens findet er sich aber in einem „Strudel aberwitziger Gewalt“ (Zitat Klappentext) wieder.

Zitat: Chacaltana über sich selbst in einem Gespräch mit Edith, der Kellnerin, in die er sich verliebt hat:
„Ich bin ... niemand Wichtiges, Edith. Ich habe kein Auto. Und werde auch keines haben. Im Grunde eigne ich mich gar nicht für solche Festlichkeiten (er meint diesen Empfang, bei dem er dem General und dem Beamten des Nachrichtendienstes begegnete), glaube ich. Wenn ich mich zu unterhalten versuche, hört mir niemand zu. Vielleicht liegt es daran, daß ich nie wirklich verstehe, was auf diesen Festen passiert ... Ich glaube, ich verstehe nicht einmal, was in dieser Stadt passiert, in diesem Land. In letzter Zeit habe ich das Gefühl, daß ich überhaupt nichts mehr verstehe. Und es macht mir angst, nichts zu verstehen.“ (Seite 156)

Selten stimme ich mit den Beschreibungen eines Klappentextes überein.  Hier aber stimme ich voll und ganz zu:

Zitat: „Vor dem sehr realen Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Abgründe seines Landes erzählt der junge peruanische Autor einen temporeichen, psychologisch eindringlichen Thriller.“ (Klappentext)



Santiago Roncagliolo: Roter April

Aus dem Spanischen von Angelica Ammer
© 2008 Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner
Umschlagabbildung: „Coilurritti“, 1987, Cuzco, Peru

Montag, 12. August 2013

Christos Tsiolkas: Nur eine Ohrfeige



Nach reiflicher Überlegung komme ich nun doch zu dem Schluß, daß dieses Buch so was wie ein Furz ist. Mit dem Furzen habe ich nicht angefangen. Das war der Autor, der gleich auf der ersten Seite Hector, so was wie die Hauptfigur,  damit vorstellt und ihn erst mal kräftig furzen läßt.  Die Stellen, wo später gepinkelt  und Großes gemacht wird, habe ich mir nicht gemerkt.  Übrigens – alle, die in die Badewanne gehen, in diesem Roman, tun das in sehr sehr heißem Wasser. Damit will ich jetzt nicht unbedingt sagen, daß dem Autor nichts Besseres eingefallen sei. Und Hector war nicht der Einzige, der in diesem Roman gefurzt hat.

Hector ist 43 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und er furzt gerne, was seine Frau, Aisha, überhaupt nicht mag und wenn Hector beim furzen an seine Frau denkt, oder bei den Liegestützen und 150 Situps, die er ebenso täglich macht, fallen ihm Damenumkleidekabinen die nach Mösen riechen ein. Ja, nicht nur eine Möse, mindestens zwei oder mehr. So liebt es Hector. Ob er die junge Sprechstundehilfe, Connie, vergewaltigt hat, na ja, daß verrate ich jetzt mal nicht. Also Hector ist ein typischer Australier, glaubt man diesem Roman. Die restlichen Figuren auch, obwohl sie wohl aus dem gesamten Commenwelth und auch aus Griechenland irgendwann mal eingewandert sind.

Männer furzen im Durchschnitt 13 Mal am Tag und Frauen sieben mal. Fragt mich jetzt bitte nicht, wer diese Zahl ermittelt hat. Ich hatte schon genug Probleme, nämlich 508 Seiten lang, mich die ganze Zeit zu fragen und möglich zu klären, was denn dieses ganze Geschreibsel eigentlich soll. Schon möglich das ich zu blöd zum Lesen geworden bin. Oder vielleicht zu alt. 

Der Roman erschien im letzten Jahr bei Klett-Cotta und ist wohl das, was man neue deutsche Welle in der Literatur nennen könnte: Frisch, frech, locker, flockig vom Hocker, salopp im Stil, provozierend... was weiß ich. Jedenfalls konnte ich den furzenden Hector nicht mehr aus meiner Nase raus kriegen.  Obwohl, er dann doch nicht die Hauptfigur war. Ich weiß gar nicht, ob man das Buch hier wirklich als Roman bezeichnen kann.

Es gibt  acht Kapitel: Hector; Anouk, Harry, Connie, Rosie, Manolis, Aisha, Richie! Und man erfährt alles, wirklich alles über sie und ihre Leute.

Anouk ist eine der besten Freundinnen von Aisha, die ja mit Hector verheiratet und Tierärztin ist, Connie ist Aishas Sprechstundenhilfe und hatte einen bisexuellen Vater, der in London, dem schwulen Loch, an Aids gestorbenen war und zog dann zu ihrer Tante (oder war es vielleicht doch ihre Mutter? Die hat kein eigenes Kapitel bekommen).  Anouk, Drehbuchautorin, natürlich mit jugendlichem Liebhaber aus der Serie, und Rosie, beide mit eigenem Kapitel, sind beste Freundinnen von Aisha.

Manolis ist der Vater von Hector, Grieche, wen wundert es, bei den Namen. Richie ist ein junges schwules Bürschchen und in Hector verliebt und seine beste Freundin ist Connie. Soweit so klar?! Nein, ich sage euch jetzt nicht, wer wen fickt, oder gefickt hat, oder ficken wollte. Ich sage jetzt auch nicht, wer welche Drogen nimmt, oder wieviel Alkohol trinkt. Auch nicht, wer einsam ist, pleite, oder sonst wie frustriert.  Alles drin in den 510 Seiten. Okay, 509 Seiten. Auf der letzten Seite ist eine Danksagung. Wie rührend, daß da jemand den Autor „zahlungsfähig“ (Seite 510) gehalten hat. Jetzt habe ich glatt den geläuterten australischen Ureinwohner vergessen.

Ich sagte, der Roman habe eigentlich keine Hauptfigur. Es gibt aber ein Ereignis wie der Titel ja ahnen läßt: Die Ohrfeige! Die verpaßt Harry dem vierjährigen Sohn von Rosie auf einer Gartenparty. Rosie gibt ihrem Sohn immer noch die Brust; öffentlich.  In den einzelnen Kapiteln nun offenbart sich das banale Leben aller genannten und irgendwie beteiligten, es tun sich Abgründe auf. Man könnte also durchaus jedes Kapitel für sich als Sozialstudie lesen und von mir aus auch ein bißchen Psychoanalyse betreiben. Komisch allerdings wirkt es nicht; jedenfalls nicht bei mir.

Das liegt, würde ich mal sagen, an der Erzählerfigur und am Stil dieses Buches. Weitgehend ist der Stil essayistisch, beschreibend, kurze Sätze. Alles irgendwie banal. Gelegentlich stellt sich dann aber doch, endlich, mal der Eindruck ein, daß da etwas erzählt wird und es gibt auch einige Erzählerkommentare: 

„Willkommen im Australien des frühen 21. Jahrhunderts.“ (Seite 120)
„Gott ist ein Flachwichser.“ (Seite 370)

Und manchmal scheint dieser Erzähler sogar ins philosophieren zu geraten, obwohl ich seine Themen ziemlich ausgelutscht finde: Liebe, Treue, Geld, Moral, Erziehung, Alter, Generationskonflikt?!

Auf 509 Seiten kann man eine ganze Menge rein packten, drüber plappern und schreiben und vielleicht fragt sich dann noch manch anderer Leser, was er da eigentlich gelesen hat und wie es kommt, daß ein einstmals so renommierter Verlag, wie Klett-Cotta, diesen Roman offensichtlich nicht für einen Furz hält und dem Autor ist es gelungen, die vertrackte,  banale, australische Realität zu zeigen.

Allerdings habe ich Australien und seine Menschen irgendwie anders in Erinnerung. Klar, haben die auch gefurzt. So wie ich auch.



Christos Tsiolkas: Nur eine Ohrfeige


Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
© 2012 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Schutzumschlag: Rohfos & Gabler, Hamburg
Unter Verwendung des Umschlags von Carrado Bosi, cdf-ittica.it
Foto: getty-images (Taxi/Maria Spann)

Montag, 5. August 2013

Silvina Ocampo u. Adolfo Bioy Casares: Der Hass der Liebenden


Irgendwo an der Atlantikküste, da wo ein Sturm ein ganzes Hotel im Sand versinken lassen kann – wir müssen also in Südamerika sein -,  wird Mary vergiftet. Mary ist eine wunderschöne junge Frau. Okay, sie hat sich an den Verlobten ihrer Schwester herangemacht. Aber ich will nicht vorgreifen.

Nachdem Doktor Humberto Hubermann seine morgendliche Dröhnung Arsenglobuli, immer zehn Kügelchen, auch am Abend, zu sich genommen hat, ist er noch nicht einmal im Hotel Central angekommen und hat schon schlechte Laune.

Wir sind erst am Anfang dieses Krimis von 167 Seiten, aber ich hatte schon auf Seite 13 dann doch das Gefühl, daß er mich im Szenario, den Figuren und der Handlung an einen Krimi  von Agatha Christie erinnert.

Das war so der Zeitpunkt, als ich begann zu fürchten, aus der erhofften Literarischen Entdeckung wird wohl nichts.  Und schon sehr bald reute mich die Ausgabe von 18,85 € für dieses kleine Bändchen.

Es gibt dann eine Handvoll der üblichen Verdächtigen und irgendwie spinnt sich doch so etwas wie ein ungewöhnliches und seltenes Verwirrspiel, das an Ping Pong erinnert.

Irgendwie Ping Pong muß es ja auch gewesen sein, denn diesen Roman schrieben zwei Schriftsteller: Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Beiden sich mit großer eigener Freude und zum Spaß, so am Abend vielleicht vorm Kamin liegend, irgendwo in Südamerika, beim Sandsturm, die Zettelchen mit ihren Texten zuschoben.  Sie waren ja miteinander verheiratet und das wohl recht lang.  So am Stück bekommt das Ganze einen ungewöhnlichen Stil, auch die Sprache ist ungewöhnlich und auch wenn man Agatha Christie ums Verrecken nicht abschütteln kann, erliegt man durchaus bis zu einem gewissen Grade dem Gefühl, zumindest etwas ganz Neues zu lesen, obwohl das Ding 1942 geschrieben wurde.

Da die wenigen Seiten ausgesprochen großzügig bedruckt sind, hält der Lesespaß nicht lange an.  Und ab Seite 100 war klar, da kommt nicht viel mehr an Entwicklung, an Struktur, an Sprache und Verwicklungen. Ich glaube, beim Chinesischen Essen hält der Grad der Sättigung auch nie lange an.

Genauso erging es mir eben bei diesem Roman, in dem sich eigentlich nie so richtig etwas entwickelte; weder die Handlung, noch die Figuren und alle Bilder waren von Agatha Christie belegt. Allerdings einer sehr, sehr dünnen. So, als wäre es ein erster Entwurf, ein Plot, für einen größeren Roman, der noch geschrieben sein wollte.




Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares: Der Hass der Liebenden

Aus dem Spanischen übersetzt von Petra Strien-Bourmer
© 2010 by Manesse Verlag, Zürich
Umschlaggestaltung: glanegger.com, München
unter Verwendung von Motiven von
© Jodi Cobb und Christopher Ray Robertson