Um genau zu wissen,
WO ich in diesem Roman eigentlich bin, mußte ich erst mal meinen fünf
Euro teuren Atlas aus dem Netto bemühen.
Aha: Südamerika, Peru, Lima, und irgendein kleines Kaff in diesem Land
ist der Ort des Geschehens.
Die zeitliche Orientierung ist ganz leicht: April, wie der
Titel schon verrät, wobei die Geschichte am Donnerstag, den 9. März beginnt.
und am 3. Mai endet. Auch das Jahr
scheint verbürgt: „Die Richtigkeit dessen beurkundet mit seiner Unterschrift am
3. Mai 2000 Carlos Martin Eléspuru, Beamter des Nationalen Nachrichtendienstes.
Diese beiden Orientierungen erscheinen mir recht wichtig, es
sei denn, man kennt sich mit Peru und seiner wohl oftmals blutigen Geschichte
aus. Diese Geschichte dieses Landes beleuchtet dieser Roman aber auch noch auf
beeindruckende Weise. Der Autor dieses
2008 auf Deutsch erschienen Romans, wurde 1975 in Lima geboren, lebte
zum diesem Zeitpunkt schon einige Jahre
in Barcelona und schrieb Drehbücher, Artikel für spanische und peruanische
Zeitungen und Romane.
Um diesen oben erwähnten Beamten des Nachrichtendienstes
Carlos Martin Elèspuru geht es aber nicht. Wie es sich für einen Beamten des
Nachrichtendienstes gehört, bleibt er so gut wie im Hintergrund und spinnt
seine Fäden im Auftrag der wirklichen Machthaber dieses Landes. Er taucht
einmal in Begleitung eines Generals auf, als die Militärs das Sagen im Lande
hatten( oder haben?), und dabei begegnet ihm der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt
Félix Chacaltana, der immer Berichte
verfaßt, die keiner liest. Und dieser unscheinbare stellvertretende
Bezirksstaatsanwalt, zwischen 40 und 50 Jahre alt, ist nun der Held dieser
Geschichte.
Chacaltana ist ein merkwürdiger Kerl. Geschieden, lebt
alleine, seine Arbeit scheint wenig aufregend zu sein, es gibt einen
demokratisch gewählten Präsidenten und die Zeiten des Terrors durch den Leuchtenden
Pfad sind offiziell vorbei. Das Auftauchen einer grausam verstümmelten Leiche
geschieht aber unter dubiosen Umständen, woraus Chacaltana natürlich
feinsäuberliche Berichte verfaßt und während dieser Ermittlungen vollzieht sich
offensichtlich ein Wandel in der Persönlichkeit unseres Helden.
Er beschäftigt sich nicht mehr so oft mit seiner toten
Mutter, der er ein Zimmer eingerichtet hat und ihr feinordentlich auch das
Nachthemd raus legt, verliebt sich in eine Kellnerin, die aber nicht nur
Kellnerin ist, er scheint Ehrgeiz zu
entwickeln und seine Vorgesetzten fangen an, nicht nur seine Berichte zu lesen,
sondern er erhält sogar uneingeschränkten Zugang zu ihnen. Ja, so langsam
scheint Chacaltana Eier zu bekommen und wird fast ein richtiger Draufgänger.
Unversehens findet er sich aber in einem „Strudel aberwitziger Gewalt“ (Zitat
Klappentext) wieder.
Zitat: Chacaltana über sich selbst in einem Gespräch mit
Edith, der Kellnerin, in die er sich verliebt hat:
„Ich bin ... niemand Wichtiges, Edith. Ich habe kein Auto.
Und werde auch keines haben. Im Grunde eigne ich mich gar nicht für solche
Festlichkeiten (er meint diesen Empfang, bei dem er dem General und dem Beamten
des Nachrichtendienstes begegnete), glaube ich. Wenn ich mich zu unterhalten
versuche, hört mir niemand zu. Vielleicht liegt es daran, daß ich nie wirklich
verstehe, was auf diesen Festen passiert ... Ich glaube, ich verstehe nicht
einmal, was in dieser Stadt passiert, in diesem Land. In letzter Zeit habe ich
das Gefühl, daß ich überhaupt nichts mehr verstehe. Und es macht mir angst,
nichts zu verstehen.“ (Seite 156)
Selten stimme ich mit den Beschreibungen eines Klappentextes
überein. Hier aber stimme ich voll und
ganz zu:
Zitat: „Vor dem sehr realen Hintergrund der politischen und
gesellschaftlichen Abgründe seines Landes erzählt der junge peruanische Autor
einen temporeichen, psychologisch eindringlichen Thriller.“ (Klappentext)
Santiago
Roncagliolo: Roter April
Aus dem Spanischen von Angelica Ammer
© 2008 Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner
Umschlagabbildung: „Coilurritti“, 1987, Cuzco, Peru