Mittwoch, 5. September 2012

James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

Wenn dieser Roman mit einer Muhkuh und einem Baby Tuckuck beginnt.... so sollte der geneigte Leser einfach weiterlesen, denn dies verliert sich schon ab der zweiten Seite und von da an ist dieser Roman nicht mehr „offen, verschlüsselt, oder kryptisch“ sondern recht verständlich, auch wenn es natürlich noch das Offene, das Verschlüsselte und das Kryptische gibt. Geburt, Kindheit, Schule sind die Stationen die Stephen Dedalus durchläuft, „anfangs noch im Bann von Ängsten und Schuldgefühlen, vertraut er mehr und mehr auf seine kritischen Fähigkeiten, auf seine Gefühle und persönlichen Neigungen“. Und tatsächlich, zwischen dem scheinheiligen Moralismus von Familie, Gesellschaft und Kirche, dem was man für Sünde und Gott hält, seiner Gefühlswelt und seinen Empfindungen, entwickelt sich der mutige „Künstler“ wie es scheint, und das ganze klingt am Ende wie ein Märchen, als welches es ja mit den ersten Zeilen beginnt:: „Es war einmal....“ , jepp und am Ende steht tatsächlich das was ein Künstler sein möchte und könnte wie eine Verheißung.

Solange ich bei diesem Buch geblieben bin, ging es mir mit dem Lesen recht gut. Dummerweise habe ich auch das Nachwort gelesen und frage mich nun, ob ich da was nicht kapiert habe. Es soll Leute geben, die treffen sich noch heute regelmäßig und sezieren jeden Satz von James Joyce und denen zufolge kann man sich darüber streiten, ob dies Porträt nun ein Roman sei oder nicht vielmehr eine erste Autobiographie? Also laßt euch von denen nicht bange machen, dieser Roman ist ein guter Einstieg und Zugang zu James Jouyce.

Ja, in diesem Roman macht James Joyce tatsächlich ein Rundumschlag und all überall ist der aufbegehrende Geist eines jungen Menschen zu lesen, zu fühlen, der sich so seine eigenen Gedanken macht über Gott und die Welt. Vor allem über Gott! Und fast scheint es, als würde die Kunst der neue Gott von Stephen Dedalus. Und wenn dem so ist, eben nicht nur von Stephen Dedalus, sondern von vielen Künstlern und Dichtern, die sich durch dieses Werk haben inspirieren lassen.

„Von diesen Dingen zu sprechen und zu versuchen, ihre Natur zu verstehen, und, wenn wir die verstanden haben, langsam und genügsam und beharrlich zu versuchen, aus der grobschlächtigen Erde oder dem, was sie hervorbringt, aus Klang und Form und Farbe, die die Kerkertore unserer Seele sind, ein Bild der Schönheit, zu deren Verständnis wir gelangt sind, herauszupressen, sie auszudrücken – das ist Kunst.“ (Zitat: Seite 254)

Und H.G. Wells hat recht: „Dieses Buch muß man kaufen und lesen und wegsperren, aber keinesfalls darf man es versäumen.“



James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

Aus dem irischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen, auf Grundlage der von Hans Walter Gabler edierten textkritischen Garland-Ausgabe von 1993

© der textkritischen Edition des Originals, 2012 Hans Walter Gabler, München
© 2012 für die deutsche Ausgabe by Manesse Verlag, Zürich in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: glanegger.com, Büro für Buch und Grafik, München