Was japanische Literatur angeht bin ich erheblich
vorbelastet. Zum einen habe ich den Hype um sie ab den 1970er Jahren erlebt, zum
anderen drei Monate als Laufbursche in Narita in einem Hotel gearbeitet, habe mir
Haikus und Kinderlieder auf japanisch von einer süßen Japanerin in mein Ohr träufeln
lassen, die dann leider beim Absturz des Jumbos der JAL ums Leben kam. (Ist das lange her!)
Hiromi Kawakami, Jahrgang 1958, gehört zu den populärsten Schriftstellerinnen
Japans, heißt es auf dem Umschlag. Sie
schreibt seit 1994 und 2008 hatte sie mit „Der Himmel ist blau, die Erde ist
weiß“, ihrem ersten Buch auf Deutsch Erfolg und gute Kritiken. Und wie es nun mal in dieser Bücherindustrie
so üblich ist, kam dann gleich der zweite Roman auf Deutsch hinterher: Herr
Nakano und die Frauen, aus dem Jahr 2009.
Hitomi ist eine junge Frau, als sie mit ihrer Geschichte,
die sie uns hier erzählt, beginnt und all zu lange kann es nicht her gewesen
sein. Sie arbeitet als Verkäuferin im Trödelladen von Herrn Nakano, als
Aushilfe, irgendwo in einer ruhigen Seitenstraße in Tokio und damit irgendwie außerhalb
von Raum und Zeit, klar gibt es schon Handys und das Internet, und was sie
erlebt und wem sie begegnet erscheint bis zu einem gewissen Grad gegensätzlich
zu dem Bild, welches man sich vielleicht heute von Japan und seinen Menschen
macht.
Nakano San ist ein „Herr alter Schule, liebt schöne alte
Dinge und die schönen jungen Mädchen und ist dabei stets auf Höflichkeit
bedacht.“ (Umschlag). Sein Trödelladen
wird zu einem Treffpunkt von eigenartigen Menschen, die vielleicht ein wenig
aus der Spur geraten zu sein scheinen, oder sie noch nicht ganz getroffen zu
haben:
Masayo, die Schwester von Nakano San, macht Puppen und begegnet
mit Mitte fünfzig der großen Liebe;
Sakiko, Nakanos Freundin die erotische Romane schreibt,
verliert um ein Haar Nakano San als Einsatz bei einem Glücksspiel;
der Kunstlehrer Tadokoro bietet Nacktfotos aus seiner Jugend
feil;
schließlich eben Hitomi selbst, unsere Ich-Erzählerin
verliebt sich in Takeo, den Laufburschen von Nakano San.
„Eine
Liebesbeziehung war, weiß Gott, nicht einfach. Das Schwierigste war für mich zu
entscheiden, ob ich überhaupt eine Liebesbeziehung wollte.“ (Zitat, Seite 50)
In sanftem Rhythmus fließt diese Erzählung dahin: Sommer und
Winter; Tag und Nacht; Laden
aufschließen, Laden zuschließen; und regelmäßig Essen. Hitomi erzählt uns also auch genau, was sie so ißt und das
klingt immer recht amüsant. Durch diese
Erzählweise und den merkwürdigen Figuren entsteht eine atmosphärische Dichte,
wohltuend und amüsant. Was immer wohltuend heißen mag.
Zitat:
„Klingt wie das Drehbuch für einen Pornofilm.“
„Gibt es da Drehbücher? Ich dachte, die drehen und schneiden
dann einfach was zurecht. Nicht?“
„Ich habe gehört, daß es auch künstlerische Pornos gibt.“
„Ach, mir gefallen einfache und leicht verständliche Pornos.“
Irgendwie waren wir vom eigentlichen Thema abgekommen. Herr
Nakano lümmelte sich noch immer auf dem Stuhl und sah an die Decke. Die Lehne
bog sich. Beinahe hätte ich ihn ermahnt, vorsichtig mit dem Stuhl zu sein, aber
ich verkniff es mir. Als Herr Nakano einmal mit dem Staubwedel einen kleine
Krug bearbeitete, der dabei zu kippen drohte, rief ich: „Passen Sie auf!“ In
dem Moment fiel der Krug zu Boden und zerbrach. Herr Nakano gab mir zwar nicht
die Schuld, aber ich hatte begriffen, daß man ihn in solchen Momenten nicht
ansprechen sollte. (Seite 100)
Das dieses Idyll zwischen Arbeitgeber und Aushilfe nicht
ewig dauern kann, daß die Begebenheiten der seltsamen Menschen, über die uns
Hitomi hier so anschaulich und sanft berichtet hat, wieder einer Spur folgen, der
Trödelladen irgendwann mal endgültig zu macht, scheint dem Leser dann
zwangsläufig, ein wenig bedauerlich zu sein, aber der Klappentext hat uns ja
gewarnt. Zitat: „Westliche Einflüsse
und aggressive Geschäftsmethoden aber machen auch vor Herrn Nakanos Laden nicht
Halt.“ (Umschlag)
Aber das Ende ist dann doch in etwa so, wie das
geheimnisvolle Lächeln einen wunderbaren, wunderschönen sich leicht verneigenden
japanischen Frau.
Hiromi Kawakami: Herr Nakano und die Frauen
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe und Kimiko
Nakayama-Ziegler
© 2009 Carl Hanser Verlag, München
Schutzumschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München
unter Verwendung von Fotos © Macduff Everton/Corbis
und © Dex Image/Corbis